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Tag der Deutschen Einheit 1990: Alles bleibt anders bei den ostdeutschen Sparkassen

Teil 55 – Nachwort zum Serienende

Am 3. Oktober 1990 ist die DDR Geschichte. Kein Jahr ist seit dem Mauerfall 1989 vergangen. Der politische und gesellschaftliche Umbruch, der sich zwischen diesen beiden geschichtsträchtigen Ereignissen mit rasanter Geschwindigkeit vollzogen hatte, mündet vor 30 Jahren in der Wiedervereinigung zweier deutscher Staaten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Hinter den Ostdeutschen liegen aufregende und hoffnungsvolle Wochen seit dem 9. November 1989. Vor ihnen liegen Jahre der Um- und Neuorientierung, verbunden mit neuen Chancen und Herausforderungen. Viele haben bereits begonnen, ihr Leben komplett neu zu organisieren, wieder die Schulbank zu drücken. Eine Zeitzeugin wird sich Ende der 1990er Jahre erinnern, dass eine „andauernde schöpferische Unruhe“ einsetzte, die auch später nicht mehr nachließ.*

Die Beschäftigten der ostdeutschen Sparkassenorganisation treiben in dieser Zeit mit großem persönlichen Einsatz den Transformationsprozess Richtung Marktwirtschaft voran. Unsere Blogserie unterstreicht die beeindruckende und enorme Kraftanstrengung, die damit verbunden war. Am 3. Oktober 1990 beginnt auch Rainer Voigt, Präsident des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes, seine Rede in Bonn mit einem Blick auf das nahezu unfassbare Entwicklungstempo, mit dem die Menschen in Ostdeutschland nun umgehen mussten:

Als im vorigen Herbst die moralische Kraft wirksam wurde, die das alte Regime mit friedlichen Mitteln zum Abtreten zwang, begannen damit die Veränderungen, die als ‚Wende‘ in die deutsche Geschichte eingehen werden. Wer von uns hätte jedoch damals daran geglaubt, daß eine solche Entwicklung, wie wir sie seitdem miterlebt, und ich glaube sagen zu dürfen, auf unserem Gebiet auch mitgestaltet haben, in diesem historisch kurzen Zeitraum möglich wäre.**

Was die ostdeutsche Sparkassenorganisation bis dato alles geschafft hat, kann sich nicht nur sehen lassen, sondern stellt auch die Weichen für ihre erfolgreiche Zukunft:

  • Loslösung von der Staatsbank
  • Aufbau eines eigenen Verbandes und damit Anknüpfung an traditionelle Strukturen
  • Währungsumstellung, inkl. Bearbeitung von über 14 Mio. Anträgen, was laut Voigt „ein wesentlicher Beitrag […] zur schnellen Herbeiführung der Einheit Deutschlands“** war
  • Beginn der rechtlich-strukturellen Anpassung an bundesdeutsche Verhältnisse
  • Start von Investitionen in die Zukunft: Bau, Sicherheit, EDV
  • Erweiterung der Produktpalette im Sparverkehr und im Kreditgeschäft
  • Einstellung neuer Mitarbeiter (seit Juni 1990 sind es insgesamt 3.000) und deutliche Erhöhung der Anzahl der Auszubildenden
  • Start einer umfassenden Qualifizierungsoffensive
  • Reaktivierung tatsächlicher kommunaler Bindung

Ohne die finanzielle und personelle Unterstützung der westdeutschen Sparkassenorganisation wäre das alles nicht möglich gewesen. Zahlreiche Unterlagen aus unserem Archiv, aber auch aus dem Archiv des DSGV, die wir für die Serie ausgewertet haben, belegen, dass „mit westdeutscher Hilfe einerseits eine hohe Effektivität in der Umgestaltung erreicht, andererseits aber auch eine gewisse Eigenständigkeit erhalten und verteidigt werden“ konnte.***  Heinrich Haasis, 2006 bis 2012 Präsident des bundesdeutschen Dachverbandes, fasst Jahre später zufrieden zusammen: „[…] die in die ostdeutschen Sparkassen gesetzten Hoffnungen haben sich erfüllt.“ Denn sie schafften es, „wettbewerbsfähige Sparkassenstrukturen“ aufzubauen.****

Doch am 3. Oktober 1990 bedeutet das Ankommen in der Bundesrepublik Deutschland bei aller Freude vor allem auch ein Nachdenken „über den weiteren Weg zueinander“.*****

Zu den vordringlichsten Aufgaben gehören nun:

  • Fortsetzung der Strukturangleichung
  • Aufbau einer engen Bindung zu den Kommunen, inkl. Hausbank-Funktion, sowie Unterstützung beim Ausbau der regionalen Wirtschaft durch Ausweitung der Kreditaktivitäten
  • Abschluss der Arbeiten im Rahmen der Währungsumstellung
  • Vereinheitlichung der Technik und rasche Modernisierung
  • Aus-, Fort- und Weiterbildung in allen Sparkassen
  • Umsetzung des Vorstandsprinzips in der Sparkassenleitung, verbunden mit der Ausarbeitung einer neuen Geschäftspolitik
  • Vollständige Integration in die bundesdeutsche Sparkassenorganisation******

Dass diese und weitere Vorhaben in den Folgejahren erfolgreich bewältigt wurden, zeigt eine Studie zur Wendezeit Ende der 1990er Jahre. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass „die ostdeutschen Sparkassen mit verblüffender Geschwindigkeit auf das westliche Modell umgestellt werden konnten“ und dass „dieser Prozeß selbst wiederum im Wesentlichen von den Mitarbeiterinnen der Sparkassen getragen wurde.“ Deutlich wird auch, dass die Angleichung an „westliche Standards […] nicht zu einer vollkommenen Überformung geführt [haben], sondern bestimmte Eigenheiten der ostdeutschen Entwicklung […] trotz einer starken Relativierung erhalten geblieben“ sind und dass die Sparkassen im Bereich Finanzdienstleistungen eindeutig zu den Protagonisten „im Aufschwung Ost“ gehören. Eine der herausragenden Feststellungen der Studie ist sicherlich, dass die ostdeutschen Sparkassen bewiesen haben, „daß es möglich war, die Umgestaltung zugleich sozial verträglich […] und wirtschaftlich erfolgreich zu vollziehen.“*******

Im 20. Jubiläumsjahr konstatiert die Wissenschaft im Rückblick auf die „Deutsche Wiedervereinigung“:

Beim Zusammenwachsen der Bundesrepublik und der früheren DDR haben die Sparkassen, Raiffeisen- und Genossenschaftsbanken ihre Leistungsfähigkeit bewiesen […] Heute sind die Sparkassen und Genossenschaftsbanken in den neuen Bundesländern oft die einzigen Institute vor Ort.********

Von Vorteil waren dabei nicht zuletzt auch die Erfahrungen, eine „langfristig erfolgreiche Entwicklung auf der Basis eines ausgewogenen Verhältnisses von Kontinuität und Wandel zu gründen“, sowie die Gemeinsamkeiten zwischen ost- und westdeutschen Sparkassen, auf denen sich in der Wendezeit eine Zukunft aufbauen ließ:

  • gleicher Name und damit Grundlage für eine gemeinsame Identität
  • öffentlich-rechtliche Trägerschaft sowie öffentlicher Auftrag
  • Regionalprinzip und Beschränkung auf das Geschäftsgebiet
  • Marktführerschaft im Privatkundengeschäft*********

Auch wenn unsere Serie an dieser Stelle endet, so werden wir in loser Folge selbstverständlich über die Entwicklung des Ostdeutschen Sparkassenverbandes und seiner Mitgliedssparkassen weiterhin berichten. Denn gewiss ist: „Vor 30 Jahren …“ setzt sich auch in den kommenden Monaten und Jahren fort – oder um es mit Rainer Voigt zu sagen: „Man muß mit uns rechnen!“**********

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*Sparkassen im Wandel – wie Phönix aus der Asche. Teilstudie, ca. 1998 [unvollständige Fassung], S. 19, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 6b/2004. 

**Voigt, Rainer: Rede des Präsidenten des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes auf der Betriebswirtschaftlichen Tagung des DSGV in Bonn, 3.10.1990, überarb. Entwurf, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004.

***Sparkassen im Wandel – wie Phönix aus der Asche. Teilstudie, ca. 1998 [unvollständige Fassung], S. 11, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 6b/2004. | Die Studie (S. 14) ergab auch, dass u. a. der Tag der Währungsunion aufgrund seiner vielschichtigen Symbolkraft und des praktischen Vollzugs der Einheit „als einer der wesentlich bedeutenderen Schritte zur deutschen Einheit reflektiert [wird] als etwa der formale Akt ihrer Herstellung am 3. Oktober 1990.“

****Haasis, Heinrich: Sparkassen als Motor der inneren Einheit Deutschlands, in: Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall, Rückblick und Ausblick, Wiesbaden 2010, S. 158.

*****Voigt, Rainer: Rede des Präsidenten des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes auf der Betriebswirtschaftlichen Tagung des DSGV in Bonn, 3.10.1990, überarb. Entwurf, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004.

******Vgl. dazu auch Holtmann, Claus Friedrich ; Morales, Wolfram: Ostdeutsche Sparkassen im Wandel der Zeit, in: Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall, Rückblick und Ausblick, Wiesbaden 2010, S. 168 ; Voigt, Rainer: Rede des Präsidenten des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes auf der Betriebswirtschaftlichen Tagung des DSGV in Bonn, 3.10.1990, überarb. Entwurf, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004.

*******Sparkassen im Wandel – wie Phönix aus der Asche. Teilstudie, ca. 1998 [unvollständige Fassung], S. 31, 13, 37, 38, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 6b/2004 | Rainer Voigt bezeichnet die Sparkassen 1990 als „Hoffnungsträger“ und „Teil der Identität“ der Ostdeutschen, die ein „positives Signal für die Bürger, daß sie es schaffen werden“ aussenden können. Dies sei aus seiner Sicht gerade „in einer zur Zeit stagnierenden, teilweise sogar schrumpfenden DDR-Wirtschaft, die viele Unsicherheiten für die einzelnen Bürger mit sich bringt, insbesondere die Sorge vor Arbeitslosigkeit“ bedeutsam. Vgl. Voigt, Rainer: Rede des Präsidenten des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes auf der Betriebswirtschaftlichen Tagung des DSGV in Bonn, 3.10.1990, überarb. Entwurf, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004.

********Otte, Max: „Finanzplatz Deutschland“ versus deutsches Bankensystem – Zwei politökonomische Perspektiven für die Zukunft, in: Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall, Rückblick und Ausblick, Wiesbaden 2010, S. 191.

*********Zitat im Absatz: Sparkassen im Wandel – wie Phönix aus der Asche. Teilstudie, ca. 1998 [unvollständige Fassung], S. 37, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 6b/2004 | Haasis, Heinrich: Sparkassen als Motor der inneren Einheit Deutschlands, in: Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall, Rückblick und Ausblick, Wiesbaden 2010, S. 144; Wysocki, Josef ; Günther, Hans-Georg: Geschichte der Sparkassen in der DDR 1945 bis 1990, 2. Aufl., Stuttgart 1998, S. 147-149.

***********Schlusssatz von Rainer Voigt in seiner Rede zur Tagung der Vorsitzenden der Verwaltungsräte der Sparkassen im November/Dezember 1990 zum Thema „Die geschäftspolitische Lage der ostdeutschen Sparkassen im Bankwettbewerb“, überarb. Entwurf, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004 | Der letzte Absatz lautet in Gänze:  „40 Jahre Planwirtschaft sind eine lange Zeit! / Wir verdrängen sie nicht, wir verarbeiten sie / – schnell! – / Man muß mit uns rechnen!“