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Erste Seminare für angehende Verwaltungsratsvorsitzende der DDR-Sparkassen

Blogserie, Teil 48

Zwischen dem 21. und 25. August 1990 finden in Berlin jeweils drei zweitägige Informationsseminare für Oberbürgermeister und Landräte der DDR statt, um sie auf die künftige Rolle als Vorsitzende der Verwaltungsräte ihrer örtlichen Sparkasse vorzubereiten. Der Präsident des Sparkassenverbandes der DDR, Rainer Voigt, verdeutlicht das Ziel der Veranstaltungen im Interview mit der Berliner Zeitung:

Wir versuchen, die aus der Struktur der früheren Bankenlandschaft – die Staatsbank war oberster Geldhüter auch in den einzelnen Regionen – entstandene Entfremdung zwischen Kommunen und Sparkassen zu überwinden […] Dabei erklären wir auch die Aufgaben der Kommunalpolitiker als Vorsitzende der Sparkassen-Verwaltungsräte, wie das im DDR-Sparkassengesetz vom 29. Juni verankert ist.*

Das Interesse der Teilnehmer ist groß. Rund 300 Oberbürgermeister und Landräte erhalten in den Seminaren einen „Überblick zur Rechtsstellung, Geschäftspolitik, Betriebswirtschaft sowie zur Einbindung der Sparkassen in die kommunale Finanzwirtschaft.“** Die überwiegende Mehrheit war gerade erst durch die Kommunalwahlen am 6. Mai 1990 neu ins Amt gekommen. Um die frisch gewählten Kommunalpolitiker bestmöglich zu unterstützen, entstehen bereits im Vorfeld Informationsbroschüren über die kommunalen Sparkassen. 12.000 Exemplare werden hergestellt. Die gezielte Verteilung an Sparkassen und Kommunalvertreter sowie die Kostenübernahme durch den DDR-Verband sind Thema der vierten Sitzung der Verbände am 21. August 1990. Zusätzlich empfiehlt Rainer Voigt den Sparkassenleitern, die Publikation „S-Wissen für Mitglieder von Verwaltungsräten“ vom Deutschen Sparkassenverlag über den Verband zu ordern und den Seminarteilnehmern im Nachgang zur Verfügung zu stellen.***

Beiden Präsidenten, dem des Sparkassenverbandes der DDR und dem des DSGV, ist eine gute Beziehung der Sparkassen zu ihren kommunalen Trägern überaus wichtig. Daher treten sie persönlich auf den Informationsveranstaltungen mit interessanten Beiträgen auf, aus denen wichtige Aspekte an dieser Stelle näher vorgestellt werden:

Rainer Voigt analysiert in seiner Rede die unterschiedliche Ausgangslage der 196 Mitgliedssparkassen, die vor dem „Sprung in die Marktwirtschaft“ stehen. Damit dieser gelinge, müsse die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden, denn „Eigenkapital und Zinsspannen“, Produktangebot und Vergütung der Beschäftigten waren bisher viel zu gering. Positiv hervorzuheben sei jedoch die flächendeckende Präsenz der DDR-Sparkassen „als einzige bodenständige Kreditinstitutsorganisation mit rd. 3.000 Geschäftsstellen“ und einem Marktanteil von fast 80 Prozent bei Privat- sowie etwa 50 Prozent bei Firmenkunden. Voigt ist überzeugt, dass dies gute Voraussetzungen sind, um „die Sparkassen wieder zu Hausbanken der Kommunen zu machen“ und sie in den Dienst eines kommunalen Auftrags zu stellen. Die Rahmenbedingungen liegen mit dem Sparkassengesetz nun vor, dass die Volkskammer am 29.6.1990 verabschiedet habe, sowie mit der danach erlassenen Anordnung und dem Musterstatut. Den Städten und Kreisen werde als Gewährträger der Sparkassen ein größeres Mitspracherecht bei der Bestimmung ihrer Geschäftspolitik eingeräumt. Voigt betont:

In dem Maße, wie sich in Zukunft das Miteinander von Sparkasse und Kommune gestaltet, gestaltet sich auch der Erfolg in der kommunalen Arbeit in gegenseitigem Interesse und natürlich auch zum gegenseitigen Nutzen.

In diesem Zusammenhang, hält er es für wichtig, die Stellung der Sparkassen im Interesse der Verbraucher zu stärken. Die dezentrale Struktur helfe außerdem, alle geschäftlichen Aktivitäten auf die Förderung der örtlichen Wirtschaftskraft zu konzentrieren. Allein im Monat Juli gewährten die DDR-Sparkassen klein- und mittelständischen Betrieben Kredite in Höhe von 300 Millionen DM. Das unterscheide die Sparkassen ganz erheblich von den Großbanken, die sich mit Kreditvergaben „an unsere Wirtschaft oftmals schwer tun“.

Durch Auftragsvergaben, Steuerzahlungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen setzen die Sparkassen in den Regionen auch selbst positive wirtschaftliche Impulse. In diesem Sinne sind sie dem Gemeinwohl nicht nur verpflichtet, sondern fördern es aktiv. Trotzdem, so führt Voigt weiter aus, müssen sich Sparkassen auch als Wirtschaftsunternehmen gegenüber der Konkurrenz behaupten. Dies bedeute, dass nur die „Erwirtschaftung von Gewinn“ die „Überlebensfähigkeit“ sichere. Umfangreiche Investitionen seien jetzt notwendig, um entsprechende Voraussetzungen nach westlichem Standard zu schaffen. Denn in den letzten 20 Jahren mussten die Sparkassen 12 Milliarden Mark Gewinne an den zentralen Staatshaushalt abführen, ohne dass Gelder für dringendste Erfordernisse wieder zurückgeflossen wären. Hier gäbe es jetzt Nachholbedarf, den die Gewährträger im eigenen Interesse unterstützen sollten.

Kurzfristig müssten jetzt zudem Vorstände durch die Verwaltungsräte bestellt werden. „Gute Leute“ mit „westlichem Qualifikationsniveau“ würden dringend vor Ort gebaucht. Die Idee eines „gemischten Doppels“ und Vergütungsfragen behandelt Voigt in seiner Rede ebenso wie die Aufgaben eines künftigen überregionalen Fünf-Länder-Verbandes, zu dem sich der Sparkassenverband der DDR entwickeln soll und in dem „Landräte und Oberbürgermeister […] entsprechend ihrer Verantwortung ihre Mitsprache- und Mitbestimmungsrechte“ in den einzelnen Gremien wahrnehmen können.****

Helmut Geiger, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), unterstützt mit seinem Beitrag „Sparkassen im Wettbewerb“ Voigts Ausführungen. Er hebt die zwei wesentlichen Aufgaben kommunaler Sparkassen hervor: Einerseits die umfassende Versorgung der Bevölkerung mit allen gewünschten Bankdienstleistungen im Sinne eines Allfinanzgeschäfts, andererseits die Förderung eines intensiven Wettbewerbs und der damit verbundenen Verhinderung von „unerwünschten Konzentrationstendenzen in der Kreditwirtschaft“. Die dezentrale Struktur der Sparkassenorganisation gewährleiste hohe Flexibilität und große Anpassungsfähigkeit an spezifische Kundenbedürfnisse. Beides gereiche den Trägern zum Vorteil.

Gleichzeitig macht Geiger wie Voigt darauf aufmerksam, dass erst angemessene Gewinne eine Aufgabenerfüllung im örtlichen Interesse möglich machen. Dabei stehe jedoch nicht, wie bei Großbanken, etwa eine Gewinnmaximierung im Mittelpunkt. Um der überregionalen und internationalen Konkurrenz trotzdem standhalten zu können, zeichne sich die Sparkassenorganisation mit ihren Verbundpartnern durch ein starkes geschlossenes Auftreten nach außen hin aus. An die zukünftigen Verwaltungsratsvorsitzenden appelliert Geiger:

Die nächsten Monate und Jahre werden entscheidend sein, welche Marktstellung die Sparkassen im Wettbewerb mit westlichen Anbietern erreichen werden. Es muß dafür gewaltig investiert werden. Ermuntern und fördern Sie die Investitionsvorhaben in Ihren Sparkassen […] In gemeinsamer zäher und nachhaltiger Arbeit können wir […] die Wiedergeburt des DDR-Sparkassenwesens im freien Wettbewerb schaffen […] Ihnen kommt dabei eine wichtige Schlüsselfunktion zu.*****

Fortsetzung am 01.09.2020

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*Wilke, Olaf: Eigenheim-Kreditfrage ist offen. BZ-Interview mit Rainer Voigt, Präsident des DDR-Sparkassenverbandes, in: Berliner Zeitung, 46. Jg., 196. Ausg., 23.8.1990, S. 12 | Eingeladen zu den Seminaren hatte der Deutsche Sparkassen- und Giroverband, der auch die nicht unerheblichen Kosten für Unterbringung, Verpflegung Mieten etc. übernahm. Vgl. Vorlage für die Verbandsvorsteherkonferenz am 28./29. Mai 1990 in Berlin; Bestand: Sparkassenhistorisches Dokumentationszentrum Bonn.

**Kurzinformation über die Seminare mit den Oberbürgermeistern und Landräten, Schreiben Rainer Voigts an die Direktoren der Stadt- und Kreissparkassen sowie die Direktoren der Bezirksgeschäftsstellen des Sparkassenverbandes, Berlin, 24.8.90, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-19/2004; Vgl. auch den Beitrag „DDR-Infoseminar für Verwaltungsratsmitglieder, in: Deutsche Sparkassenzeitung, Nr. 64, 21.8.1990, S. 3.

***ebd. | In Auswertung der Landräteseminare erfolgen weitere Festlegungen zu Materialien, die durch den DDR-Verband zur Verfügung gestellt werden sollen bzw. noch zu erarbeiten sind. Dazu gehören u. a. die Gesetzgebung zum Sparkassenwesen, Mustergeschäftsanweisungen und Orientierungshilfen zu Vorstandsangelegenheiten. Vgl. dazu auch Protokoll der Dienstberatung am 28.8.1990, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-19/2004 | Wie umfassend die Aufgaben der Verwaltungsräte sind, geht aus den Sparkassengesetzen der Länder hervor. Vgl. zum Beispiel Brandenburgisches Sparkassengesetz, Abschnitt 2, § 7ff.

****Voigt, Rainer: Ansprache zum Seminar mit den Verwaltungsräten – August 1990, Entwurf mit zahlr. Korrekturen, ohne Datum, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-19/2004.

*****Geiger, Helmut: Sparkassen im Wettbewerb, Seminar für Landräte und Oberbürgermeister der DDR über die Arbeit kommunaler Sparkassen am 20. August 1990 in Berlin, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-76/2004 | Kurzfristigen Investitionsbedarf sieht Geiger in vier Aufgabenbereichen: Personal, Bausubstanz, technische Infrastruktur sowie Aus- und Weiterbildung. Die Hauptaussagen seiner Rede erschienen gleichzeitig am 21.8.1990 als Beitrag in der Deutschen Sparkassenzeitung.

Am 22. August 1990 informiert Helmut Geiger außerdem die Presse über die gerade stattfindenden Informationsseminare in Berlin. Er unterstreicht die enge, seit 200 Jahren bestehende Verbindung der Sparkassen zu ihren kommunalen Trägern und geht auf drei wesentliche Vorteile für diese ein. Dazu gehört die gute Kenntnis des Geschäftsgebietes, die mit ortsnahen und zügigen Entscheidungen einhergeht; außerdem das Verwenden von Sparkapital als Kreditpotential für den kommunalen Raum, was bedeutet, Gelder fließen nicht „an andere Plätze ab“. Nicht zuletzt stellen die Sparkassen bedeutende Arbeitgeber in der Region dar, die vielerorts als einzige Unternehmen Ausbildungsplätze für Bankkaufleute anbieten.

Ergänzt werden Geigers Ausführungen durch den Minister für Regionale und Kommunale Angelegenheiten der DDR, Manfred Preiß. Sein Beitrag auf der Pressekonferenz rückt die neuen Herausforderungen für die Kommunen in den Mittelpunkt, die nun bezüglich der notwendigen Finanzmittel für „Beschaffung und Verwendung selbst Sorge zu tragen“ haben. Er stellt das Drei-Säulen-Modell des bundesdeutschen Bankensystems vor und betont, dass die Sparkassen „die Gewinnerzielung nicht als vorrangiges Entscheidungskriterium für ihre Geschäftstätigkeit ansehen, sondern sich vordergründig dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen. Sie können dadurch deutlich über private Initiativen hinausgehen und die kommunale Entwicklung in einer völlig anderen Qualität unterstützen, als das bei privaten Kreditunternehmen der Fall sein kann.“ Erklärtes Ziel des Ministers ist der Aufbau einer starken kommunalen Selbstverwaltung mit einer leistungsfähigen örtlichen Sparkasse als „Hausbank“ an ihrer Seite. Vgl. dazu Rede Helmut Geigers auf der Pressekonferenz am 22.8.1990 in Berlin, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Günther 10/2004 sowie Rede von Manfred Preiß ebd., Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-75/2004.

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