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Bilanzen 1990 – erstmalig auch nach westdeutschen Vorschriften

Blogserie, Teil 51

Jedes Unternehmen mit Sitz in der DDR musste 1990 mehrere Bilanzen aufstellen. Die Sparkassen waren davon nicht ausgenommen. Gesetzliche Grundlage bildeten in Verbindung mit der Währungsunion  und dem Einigungsvertrag das D-Markbilanzgesetz (DMBilG) vom 23. September 1990 einerseits und andererseits die Anordnung des Ministeriums der Finanzen vom 27. Juni 1990 über den Abschluss der Buchführung in Mark der DDR zum 30. Juni 1990.

Für die Sparkassen bedeutete das nun konkret, dass sie eine Mark-Abschlussbilanz zum 30. Juni, eine DM-Eröffnungsbilanz zum 1. Juli sowie erstmals einen Jahresabschluss für das Jahr 1990 nach bundesdeutschen Vorschriften zu erstellen hatten und entsprechend geprüft wurden.

Um das alles bewältigen zu können, wurden verbandsseitig umfangreiche Maßnahmen eingeleitet. Neben regelmäßigen Fachrundschreiben mit aktuellen Informationen entwickelten Experten aus Ost und West einen „Leitfaden zur Umstellung des Rechnungswesens der Sparkassen“, der u. a. auch eine Stellungnahme zu Details der Umstellung in Folge des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen beiden deutschen Staaten enthielt.* Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) appellierte als Dachverband darüber hinaus an die westdeutschen Regionalverbände, über die Partnersparkassen den Sparkassen der DDR bei der „Bewältigung dieser Aufgaben durch Fachleute aus dem Rechnungswesen und der Innenrevision Unterstützung angedeien zu lassen.“**

Was war zu tun? In einem ersten Schritt mussten die Sparkassen eine Inventur durchführen. Denn in die Mark-Abschlussbilanz gehörten, entsprechend der bisher in der DDR geltenden Rechtsvorschriften und unter Verwendung des bekannten Schemas für den Jahresabschluss, eine Aufstellung über sämtliche Vermögensgegenstände und Schulden sowie eine Gewinn- und Verlustrechnung. So waren zum Beispiel auch Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber den Haushalten der Räte der Kreise in die Mark-Schlußbilanz aufzunehmen. Denn die Sparkassen waren in der DDR verpflichtet, monatlich planmäßige Gewinnabführungen vorzunehmen. Da dies unterschiedlich gehandhabt wurde in der Vergangenheit – manche Sparkassen hatten mehr abgeführt, als tatsächlich erwirtschaftet worden war, andere hatten noch nichts abgeführt –, sahen die Aufstellungen dementsprechend unterschiedlich aus. Auch die angefallenen Kosten im Zusammenhang mit der Währungsunion waren aufzunehmen.

Anschließend war ein neues Inventar in D-Mark aufzustellen sowie eine DM-Eröffnungsbilanz nach einem für den Jahresabschluss der westdeutschen Sparkassen vorgeschriebenen Schema. Ein Anhang zur Erläuterung der Bilanz mit einer vergleichenden Darstellung, aus der die Veränderungen der Posten aus beiden Bilanzen hervorgehen sollten, war den Unterlagen beizufügen. Gemäß Handelsgesetzbuch waren dabei die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zu beachten. Ziel war ein nach den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögenslage zu erhalten. Bei der Bewertung der in der Eröffnungsbilanz ausgewiesenen Vermögensgegenstände und Schulden galt nach § 6 DMBilG u. a., dass vorsichtig zu bewerten sei, und nach § 7 DMBilG, dass eine Neubewertung aller Vermögensgegenstände und Schulden vorzunehmen ist. Für die Überleitung von der Mark-Schlussbilanz in die DM-Eröffnungsbilanz wurden Buchungen aus der Umstellungsrechnung des DMBilG in ein „Mark-Differenzkonto“ vorgenommen. Sie ergaben im Saldo die gegen den Ausgleichsfonds Währungsumstellung eingestellte Forderung. Die Anwendung des DMBilG bedeutete in seiner letzten Konsequenz den vollständigen Bruch mit den bisherigen Gewohnheiten der Rechnungslegung in den Sparkassen der DDR.

Bis zum 31. Oktober 1990 sollten die Bilanzen in den Sparkassen aufgestellt sein, damit die Prüfungen rechtzeitig beginnen und termingerecht abgeschlossen werden konnten. Auch dafür waren im Vorfeld umfangreiche Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen. Denn die Prüfungsstelle des Sparkassenverbandes der DDR hatte für die anstehenden Arbeiten nicht genug Kapazitäten. Zwar konnte die Prüfung der Mark-Schlussbilanz zum 30. Juni 1990 von Mitarbeitern der früheren Staatlichen Finanzrevision, die jetzt in der Prüfungsstelle tätig waren, übernommen werden, doch mit der Prüfung der DM-Eröffnungsbilanz und des darauf aufbauenden Jahresabschlusses 1990 betraten sie Neuland.***

Und so war die Prüfungstätigkeit auf den Besprechungen der Verbände ein wichtiges Thema. Auf der 3. am 7. August 1990 konnte der Sparkassenverband der DDR bereits darüber informieren, dass die überarbeitete Prüfungsordnung im Umlaufverfahren durch den Vorläufigen Verbandsrat gebilligt worden war. Ein bedeutender Schritt. Denn sie schrieb die Unabhängigkeit sowie Eigenständigkeit der Prüfungsstelle fest und verdeutlichte gegenüber Dritten, wie zum Beispiel gegenüber dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAK) oder den Sparkassenaufsichten, dass berufsübliche Pflichten eingehalten werden.****

Des Weiteren wurde festgelegt, dass die Prüfung der Umstellungsrechnung und der DM-Eröffnungsbilanz gemäß des gemeinsam erarbeiteten Konzeptes erfolgt. Gerechnet wurde mit ca. 2.000 Prüfertagen und 30 westdeutschen Prüfern, die für zwei Monate die Kollegen der ostdeutschen Prüfungsstelle unterstützen sollten. 18 Prüfer sowie weitere Helfer standen hier zur Verfügung, um in der Praxis den westdeutschen Prüfern zur Seite zu stehen, die aufgrund ihrer Expertise die Teams jeweils leiten sollten. Als Prüfungszeitraum war der 15. Oktober bis 15. Dezember 1990 vorgesehen. Darüber hinaus bemühte sich der Dachverband gemäß der Übertragung der Rechtsvorschriften des Kreditwesengesetzes auf die DDR im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion um zwei Wirtschaftsprüfer, welche die Leitung der ostdeutschen Prüfungsstelle übernehmen konnten.***** Aufgrund der großen Anzahl an ostdeutschen Sparkassen war außerdem vorgesehen, dass auch westdeutsche Prüfungsstellenleiter im Auftrag des DDR-Verbandes und in Verbindung mit den entsandten Prüfern die Bilanzen seiner 196 Sparkassen testierten.

Auf der 4. Sitzung am 21. August 1990 wurde vom DSGV das Einverständnis des Sparkassenverbandes der DDR zum geplanten Verfahren – Zeitplan, Besetzung, Kosten – eingeholt. Die Finanzierung der bundesdeutschen Prüfer garantierten die entsendenden westdeutschen Prüfungsstellen. Die Sparkassen der DDR sollten die Kosten für die Unterkunft und einen Tagessatz von 70 DM tragen.****** Darüber hinaus konnte der Dachverband berichten, dass im Gespräch mit dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die Testaterteilung für die Bilanzprüfungen nicht wie üblich bis zum 31. Mai 1991 erfolgen musste, sondern bis zum 31. Oktober Zeit blieb. Diese Termingestaltung sollte die Doppelbelastung für die westdeutschen Prüfer etwas abmildern und gleichzeitig sicherstellen, dass nach Abschluss der Prüfungen der westdeutschen Sparkassen ausreichend Zeit war, um die Sparkassen der DDR ordnungsgemäß zu prüfen.

Die Prüfungsstellenleiter verständigten sich am 13. und 14. September 1990 in ihrer Bonner Besprechung auf ein erstes grobes Konzept zur Verteilung der Prüfungsaufgaben. Allen Beteiligten war bewusst, dass die kommenden Monate mit außerordentlich hohen Belastungen für die Prüfungsstellen der westdeutschen Sparkassen- und Giroverbände verbunden sein werden. Denn die Prüfungen waren im Osten nicht nur erstmalig nach westdeutschen Bilanzierungsvorschriften vorzunehmen, sie waren auch wegen der neuen Bewertungsvorschriften, der Feststellung von Ausgleichsforderungen und anderem mehr umfangreicher als in der Bundesrepublik. Einigkeit bestand auch darin, dass das Verbandsprüferexamen auch für die Kollegen in der DDR unabdingbar war. Der DSGV schuf daher Kapazitäten, damit jährlich bis zu 20 Mitarbeiter zusätzlich in die Ausbildung gehen konnten. Rückblickend betont Hans-Georg Günther: „Diese solidarische Hilfe der westdeutschen Prüfungsstellen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.“

Die Prüfungen der Mark-Schlussbilanzen sowie der Überleitungsvorschriften für die Erstellung der DM-Eröffnungsbilanz wurden bis auf wenige Ausnahmen in durchschnittlich drei bis vier Tagen bewältigt. Sie erfolgten auf Basis der in der DDR geltenden Vorschriften, insbesondere auf Basis der Richtlinie der Abteilung Sparkassen der Staatsbank für den Jahresabschluss der Sparkassen, ausgewiesen im Handbuch Teil 23, Tz 3.3.0, der Anweisung Nr. 16/1986 des Ministers für Finanzen und der Richtlinie des Leiters der Staatlichen Finanzrevision vom 15.10.1986 zur Prüfung und Bestätigung der Ordnungsmäßigkeit der Jahresbilanz und der Ergebnisrechnung der Sparkassen.

Probleme vielfältigster Art stellten sich bei den Prüfungen der DM-Eröffnungsbilanz heraus. Trotz Kenntnissen der Buchführung und Rechnungslegung warf die Bewertung und Auslegung von Bewertungsvorschriften bei den Kollegen der DDR-Sparkassen viele Fragen auf und zog intensiven Beratungsbedarf nach sich. Zahlreiche Einzelfälle der Bewertung konnten nur mit Hilfe westdeutscher Partnersparkassen gelöst werden. Zusätzliche Probleme brachten die Verfahren buchhalterischer Erfassung des Währungsumtausches durch die Bundesbank bzw. die Staatsbank. Differenzen durch Unzulänglichkeiten in der örtlichen Organisation mussten außerdem geklärt werden. Langwierig gestaltete sich darüber hinaus das Prüfungs- und Zuteilungsverfahren der Ausgleichsforderungen durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen als zuständiger nachgeordneter Behörde des Bundesministeriums der Finanzen. Schließlich gab es auch Schwierigkeiten für die Prüfer selbst durch sehr weite Entfernungen oder auch durch fehlende Unterkünfte vor Ort. All das führte am Ende zu erheblich verlängerten Prüfungszeiten, teilweise um bis zu 100 Prozent, und zu einem verzögerten Beginn der nachfolgenden Jahresabschlussprüfungen 1990.

Mitte 1992 waren dann die Prüfungen der DM-Eröffnungsbilanzen nicht nur abgeschlossen, sondern sie verdeutlichten auch, dass die Sparkassen als Kreditinstitutsgruppe die Hauptlast der Währungsumstellung getragen hatten.******* Für alle Sparkassen zutreffend sind seinerzeit die in einem Prüfbericht aufgezeigten Anpassungsmaßnahmen:

Mit dem Ziel, sich dem Wettbewerb zu stellen und sich zu einem leistungsfähigen, den geld- und kreditwirtschaftlichen Bedürfnissen der Bürger, der mittelständischen Wirtschaft sowie den kommunalen Institutionen verpflichteten Kreditinstitut zu entwickeln, hat die Sparkasse eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen. So sind für alle Geschäftsstellen Baumaßnahmen des Sparkassenbetriebes und Installationen vorgesehen, die bereits innerhalb eines Jahres die Sicherheit erhöhen und die Kundenbedienung erleichtern werden. Zusätzliche Beratungsplätze und -räume wurden für die Geschäftsstellen und die zentralen Kreditabteilungen geschaffen. Der Personalbestand muß entsprechend den neuen Anforderungen erhöht werden. Die Sparkasse wird […] an die zentrale Datenverarbeitung des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes angeschlossen.********

Fortsetzung am 20.09.2020

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*Der Leitfaden erschien auch als Beilage der Fachmitteilungen des DSGV und wurde vom Deutschen Sparkassenverlag in vierfacher Ausfertigung an alle DDR-Sparkassen versendet. Bestand: Historisches Archiv des OSV, Rundschreiben 20/1990 v. 28.9.1990.

**ebd.

***Bestand: Historisches Archiv des OSV, HAE-Pötzl-3/2004, Prüferinformation Nr. 3/1990; Rundschreiben Nr. 39 vom 17.10.1990.

****Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Pötzl 5/2004.

*****Am 1.11.1990 übernahmen die Wirtschaftsprüfer Claus Friedrich Holtmann und Ägidius Hutter die Leitung der Prüfungsstelle des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes (ehem. Sparkassenverband der DDR). Sie erteilten die gesetzlich vorgeschriebenen Bestätigungsvermerke auf der Basis der vorgenommenen Prüfungen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Prüfungsstelle bereits 20 Mitarbeiter, die in intensiven Vorbereitungen für die Prüfung der Mark-Schlussbilanz steckten, sowie eine eigenständige Organisation.

******Prüfungsgebühren wurden bereits 1990 mit Beschluss Nr. 37 vom 27.9.1990 des Vorläufigen Verbandsrates erhoben. Pro Sparkasse wurden ca. zehn Prüfungstage eingeplant, die mit Gebühren für Aufwendungen, wie etwa Reisen, Unterbringung, Spesen etc., verbunden waren. Vgl. Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Pötzl 6/2004.

*******Zitat Günter: Günther, Hans-Georg: Neugestaltung des ostdeutschen Sparkassenwesens 1990 bis 1995, Stuttgart, 1998, S. 95; Holtmann, Claus Friedrich ; Breckle, Helmut: Erfolgreicher Aufbau der Prüfungsstelle, in: Betriebswirtschaftliche Blätter, 42. Jg., Nr. 10, 1993, S. 479-484; Jahresberichte des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes 1990-1993.

********Auszug aus dem Prüfbericht zur DM-Eröffnungsbilanz der Kreissparkasse Bad Doberan, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-E 962. | Zusammenfassend, so Riebell, handelt es sich bei der DM-Eröffnungsbilanz um eine „Art vorläufiger Vermögensstatus“. Das heißt, aus ihr ging nicht die Ertragskraft hervor, was wiederum für die Kreditbeurteilung von DDR-Unternehmen ein großer Nachteil war. Sparkassen hatten also nicht nur intern, sondern eben auch extern mit der  DM-Eröffnungsbilanz zu tun. Doch das wäre wieder eine neue Geschichte. Vgl. dazu: Riebell, Claus: Die DM-Eröffnungsbilanz aus der Sicht der Bilanzanalyse, Hinweise für die Kreditbeurteilung ostdeutscher Unternehmen, in: Sparkasse, 108. Jg., Nr. 8, 1991, S. 379-382.

Zwei Bilanzen – eine Ergänzung: Rainer Voigt bezeichnet in seiner Rede am 3.10.1990 beide Bilanzen als „wichtige Dokumente der deutschen Sparkassengeschichte“. Die Schlussbilanz in Mark der DDR sage aus, dass die Sparkassen „unter der Vorherrschaft der Staatsbank […] lediglich zu Sammelstellen für die Ersparnisse der Bevölkerung und zu Einrichtungen für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs“ geworden waren, dass die örtliche Kreditversorgung der Selbständigen nur in einem „sehr engen, unbedeutenden Rahmen“ wahrgenommen werden konnte und dass die Entscheidungsspielräume der Sparkassen über ihre Geschäftstätigkeit durch die Planwirtschaft „auf ein Minimum beschränkt waren“. Die DM-Eröffnungsbilanz ließe jedoch erkennen, dass die Sparkassen zu den „Hoffnungsträgern“ in diesen Zeiten des Umbruchs und der vielen Ungewissheiten gehören. Sie ist „die Eintrittskarte für den Einstieg der ostdeutschen Sparkassen in die soziale Marktwirtschaft und damit in die Entwicklung zu universellen kommunalen Banken eines einheitlichen Deutschlands.“