• Claus Friedrich Holtmann, 2011 : © Ostdeutscher Sparkassenverband

„mit Leib und Seele Sparkassenmann“ – Erinnerungen von Claus Friedrich Holtmann

Teil 2

Gestern berichteten wir über Erinnerungen von Weggefährten an Claus Friedrich Holtmann. Im Januar 2013 hatte er Zeit für ein Interview. Wir sprachen mit ihm über die vielen Stationen seines Lebens* und natürlich auch über seine Eindrücke zum turbulenten Jahr 1990 als neuer Prüfungsstellenleiter des Ostdeutschen Sparkassenverbandes.

Herr Holtmann, wie haben Sie Rainer Voigt, den ersten Präsidenten unseres Verbandes, eigentlich kennengelernt und wann kam der Gedanke auf, dass Sie den Aufbau der Prüfungsstelle übernehmen könnten?

Das war im März 1990 in Bonn, am Rande einer Besprechung der Prüfungsstellenleiter im Hotel Poppelsdorf. Dort war die Delegation der DDR untergebracht. Abends kam Helmut Geiger, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), auf mich zu und sagte: „Herr Holtmann, Ihnen traue ich den Aufbau einer Prüfungsstelle beim Sparkassenverband der DDR zu. Sprechen Sie einmal mit dem Herrn Voigt und seinen Kollegen. Und erzählen Sie bitte, was Prüfungswesen bedeutet.“ Daraufhin haben wir vielleicht eine halbe Stunde zusammengesessen und geredet. Wie viel dabei rübergekommen ist oder nicht, kann ich nicht sagen. Auf den Rainer Voigt sind damals viele Dinge eingestürzt.

Und wie ging es dann weiter?

Ich habe Rainer Voigt dann erst am 1. September 1990 in Großburgwedel auf dem 50. Geburtstag von Dietrich Hermann Hoppenstedt, damals Präsident des Niedersächsischen Sparkassenverbandes, wiedergetroffen. Ich war zu der Zeit engster Mitarbeiter auf Wirtschaftsprüferseite bei Hoppenstedt. Dort haben wir uns dann noch einmal miteinander unterhalten.

Welche Rolle spielte der Dachverband?

Dem DSGV war zu der Zeit klar, es wird dringend ein Prüfungsstellenleiter hier im Osten gebraucht. Ich kam zu dieser Zeit gerade von einer langen Englandreise zurück. Geiger rief mich an und fragte: „Würden Sie das machen?“ Ohne Nachzudenken antwortete ich: „Natürlich mach ich das!“

Danach ging alles relativ schnell. Ende September gab es Vertragsverhandlungen. Rainer Voigt kam nach Hannover. Sie dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen: Jemand der in Westdeutschland etabliert war, der hatte damals, wenn er einigermaßen gut war, ja auch eine Chance. Ich hatte zudem eine Rückkehrgenehmigung und damit ein begrenztes berufliches Risiko. Das muss man ganz deutlich sagen. – Ich wäre auch schon im Juni gekommen, aber das habe ich mit meinem Verband in Hannover damals nicht vereinbaren können. Denn dort war ich designierter Prüfungsstellenleiter und man wollte mich nicht gehen lassen.

Rainer Voigt erinnerte sich, dass Sie in einer sehr schwierigen, rechtlich unsicheren Lage die Prüfungsstelle übernommen haben.

Ja, es war tatsächlich so, dass die Bankenaufsicht gesagt hat: „Wenn es euch nicht gelingt, hier innerhalb kürzester Zeit einen Wirtschaftsprüfer zu engagieren, der das Prüfungswesen macht, dann kann man dies nicht mehr als Verband, als Pflichtverband, sehen.“ Also insofern hat Rainer Voigt sicherlich recht mit seiner Aussage.

Voigt und ich hatten übrigens sehr schnell ein gutes Vertrauensverhältnis. Und dadurch, dass ich mich schon immer für strategische Fragen interessiert habe, befasste ich mich relativ schnell auch mit der Strategie unseres Verbandes. Wir erkannten gemeinsam, was man verändern muss. Und wir stellten fest, dass die Lage so aussichtslos nicht ist. Gemeinsam haben wir einige Dinge hinbekommen, mussten aber auch eine ganze Menge Niederlagen einstecken. Denn unter der westdeutschen Überschrift „Wir helfen euch“ gab es 1990 nicht nur wohlmeinende Angebote.

Wie müssen wir uns den Aufbau der Prüfungsstelle vorstellen? Womit haben Sie begonnen?

1990 haben wir uns zuerst die EDV vorgenommen. Das heißt, wir entwickelten unsere Schreibsysteme. – Der Aufbau der Prüfungsstelle hat insgesamt über vier Jahre gedauert. Man war ja umgeben von Schlaubergern. Minister sagten zu mir: „Herr Holtmann, Sie müssen im Prüfen schneller werden.“ Ein Akademieleiter meinte wiederum: „Wissen Sie, wir bilden Ihre Leute in drei Wochen aus, dann kriegen die das Verbandsprüferexamen und dann können Sie loslegen.“ Dass das so nicht umsetzbar war, dass Inhalte dahinterstanden, konnten Sie Außenstehenden nur ganz schwer vermitteln.

Letztendlich führte ich hier vier Jahre lang „einen Tanz auf dem Drahtseil“ auf. Aber ich sorgte dann dafür, dass alle meine Mitarbeiter das westdeutsche Verbandsprüferexamen machen. Wenn ich das mal so sagen darf: Es gab keine Zugabe, keine Zugeständnisse. Ein paar sind auch durch das Examen gefallen. Ich erinnere mich jedoch an einen Kollegen, der hat mit Mitte 50 das Verbandsprüferexamen mit Bravour bestanden. – Unsere Prüfer waren danach natürlich sehr selbstbewusst. Sie hatten jetzt einen guten Abschluss und wir zahlten sofort Westgehälter. Dafür war ich Rainer Voigt dankbar, denn im Verband selbst wurden noch Ostgehälter gezahlt. Wir handelten hier nach dem Prinzip: Wenn ich mir die Leute aus dem Westen einkaufen müsste, wären sie noch teurer als meine eigenen Leute mit einer entsprechenden Ausbildung in der Tasche.

Ich selbst bildete mit Beginn meiner Tätigkeit zwei Jahre lang fast Ort für Ort Innenrevisoren und Hauptbuchhalter in unseren Sparkassen aus. Egal, wo ich später hinkam, begrüßten mich immer auch Mitarbeiter, die bei mir vor Jahren den Fachlehrgang gemacht hatten. Sie bekommen auch etwas zurück, Sie stecken nicht nur rein. Das war schon sehr schön. – Zu Herzen gehende Sätze bekam ich zu hören: In Schwerin tagten wir einmal im Haus des Handwerks, als eine Hauptbuchhalterin – lange, lange pensioniert – zu mir sagte: „Wissen Sie, Herr Holtmann, das ist ja alles ganz merkwürdig. Wenn ich so bilanziert hätte, wie Sie mir das jetzt hier für das Geschäft 1990 sagen, da wäre ich 1989 noch für ins Gefängnis gekommen.“ – Für mich war das so eine Erkenntnis: Sie haben es mit einer zentral geleiteten Planwirtschaft zu tun, die ganz anderen Prinzipien folgt, als ein nach den Prinzipien des Kapitalismus gesteuertes System. Eindrucksvoll, ja, Sie waren 1990 mittendrin in einer Veränderung.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr Ankommen im Osten?

Ich bin am 1.11.1990 hier angekommen, nachdem ich dreizehn Stunden auf der Autobahn zwischen Hannover und Berlin zugebracht hatte. Es war sozusagen ein Stau, der in Hannover anfing und in Berlin aufhörte. Ich kam im Hotel, ein Hochhausgebäude auf dem Alexanderplatz, an und residierte dort im 27. Stock.

Als ich in der Prüfungsstelle in der Otto-Braun-Straße eintraf, richtete man gerade mein Büro ein. Meine Sekretärin war damals auch schon dabei. Wir hatten immerhin drei Telefonanschlüsse. Aber nur für eine Woche. Danach führte der Verband eine zentrale Getränkeverteilung durch und der Status der Prüfungsstelle stellte sich so heraus, dass sie ihren Telefonanschluss verlor. – Allerdings nur für 1 ½ Stunden. Dann ist sozusagen der Blitz dort hineingefahren und dann hatten wir ihn wieder. Nun, das war so die Anfangsphase. –  Eine große deutsche Firma riss die Telefonleitungen später ganz heraus. Weil die das wohl für Quatsch hielt. Das heißt, dann hatten wir gar keine Anschlüsse mehr. Also alles, was man sich so vorstellt, wie der kleine Fritz sich die Deutsche Einheit vorstellt. Bis hin zu der Tatsache, dass wir mit unseren Fragen zum Telefonieren nach Westberlin fahren mussten. – Dann fanden wir jemanden, der eine Standleitung kannte, die zum Bahnhof Alexanderplatz ging und sich dort an das Westnetz anschließen ließ. Mit der Vorwahl 9 konnten wir uns dann sofort vom Büro aus einwählen. Das war eine Leitung, die 1961 gekappt worden war. Ich war überrascht, dass es tatsächlich noch jemanden gab, der davon wusste. Der sagte dann allerdings zu uns: „Ich habe die Leitung für euch, aber ihr müsst mich als Hausmeister einstellen.“ Wir antworteten: „So lange die Leitung hier ist, biste Hausmeister …“ – Also, das ist aber wirklich die Anfangsphase gewesen. Da könnte man viele schöne Geschichten erzählen.

Ja, für einen Wessi war ja vieles neu, nicht. Und ich sag mal, ich bin hierhergekommen, wirklich mit der Vorstellung: Das ist jetzt mein neuer Arbeitsplatz. Vom ersten Tag an habe ich mich über nichts beklagen können. Ich bin von vornherein exzellent behandelt worden, hatte immer den besten Schreibtisch, ein ordentliches und schönes Büro, hatte eine gute Sekretärin, einen ausgezeichneten Fahrer.

Wäre Pendeln für Sie in Frage gekommen? Bleibt man als Führungskraft eigentlich glaubwürdig, wenn man den Wohnsitz im Westen behält?

Das können Sie nicht. Ich habe am 1. November 1990 im Verband angefangen und war ab 1. Januar 1991 in Hohenschönhausen. Allerdings in einer privilegierten Wohnung, weil ich als Einzelperson damals fast 100 Quadratmeter hatte. Die Wohnung war übrigens sehr schön; meine Nachbarn hochinteressant. Es war aber tatsächlich so, dass die Möbelpacker, die mich aus Hannover begleiteten, gefragt haben: „Was haben Sie denn bei Ihrem Verband angestellt, dass man Sie hierher verbannt hat?“ Dazu muss man wissen: Ich wohnte im niedersächsischen Gehrden in einer Eigentumswohnung am Hang mit einem schönen großen Fenster. Doch ich will das Jahr in Hohenschönhausen nicht missen. – Um es kurz zu machen: Ich bin der Auffassung, wenn ich mein Geld hier verdiene, dann gehöre ich hierher. Das heißt also auch, von dem Tag an, an dem die Tinte unter dem Dienstvertrag trocken war, war mir klar, dass dies mein Verband ist. Sie können meines Erachtens so eine Arbeit auch nur leisten, wenn sie wirklich mit Haut und Haaren dabei sind. Sonst geht das eigentlich nicht. – Das soll jetzt aber bitte nicht diejenigen herabsetzen, die es vielleicht anders gemacht haben. Denn ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Familie, da war ich etwas freier. Aber anders hätte ich es mir nicht vorstellen können. Das muss ich ganz offen sagen, ja. Es war auch rein physisch gar nicht zu schaffen. Sie dürfen nicht übersehen, ich musste jetzt erst einmal die vielen Menschen kennenlernen. Wir hatten damals 196 Sparkassen. Das war ein nicht ganz einfaches System.

Was war Ihnen als Leiter der Prüfungsstelle besonders wichtig?

Ich war beispielsweise immer dafür, dass wir Menschen von hier ausbilden. Ja, meine Prüfer kamen nicht aus dem Westen. Ich stellte Leute aus dem Osten ein. Das war natürlich für mich ganz schwer zu lernen: Welche Ausbildungseinrichtungen der DDR lieferten welche Professionalität. Dass ein Staat wie die DDR darauf achten musste, dass, sagen wir mal, eine gewisse ideologische Bestrahlung der Studenten stattfand, das war für mich selbstverständlich. Genauso wenig, wie ich als topüberzeugter Kommunist in Westdeutschland irgendwo hätte Oberbürgermeister werden können, hätte ich das auch hier im umgekehrten Fall nicht hingekriegt. Aber die Frage lautete, wie geht man damit um, nicht.

Da gab es einen klugen Satz von Hans-Georg Günther, dem Vizepräsidenten: „Du musst Dir das genau anschauen, denn es gibt Verschlimmerer und Verbesserer.“ Also: Was passiert eigentlich, wenn man einem Menschen Macht gibt? Stecken hinter der „ideologischen Schlagsahne“ Fachleute, oder nicht? Da sind Menschen, die eine supergute Facharbeit gemacht haben und gleichzeitig findet ein Systemwechsel statt. Natürlich müssen Sie sich dann auf der Prüferseite mit dem „Cui bono?“ auseinandersetzen. Denn plötzlich fangen Leute an, andere zu diskreditieren.

Ich hatte mal so einen Fall, dass bei einem sehr verdienten, von mir hoch geschätzten Mitarbeiter irgendjemand kam und mir dessen Hochschulschrift zeigte. Im Glauben, er könne mich dadurch gegen den anderen einnehmen. Denn auf den ersten zehn Seiten wurde der Sozialismus hochgejubelt. Also damals war ich glücklicherweise schon so weit, dass ich wusste, was hier so Standard war und was nicht. Ich las dann die Schrift, die von linearen Gleichungssystemen handelte. Ein sehr schwieriger Komplex der wirtschaftlichen Optimierung. Das fand ich hochinteressant. Also habe ich zu demjenigen hinterher gesagt: „Ich finde es klasse, dass sie mir die Schrift gegeben haben. Ich schätzte den Kollegen zwar schon immer sehr, aber dass der so etwas Gutes kann, habe ich nicht gewusst.“

Verstehe, Sie haben sich über so etwas geärgert. Gab es 1990 noch weitere Dinge, die Sie aufgebracht haben?

Das sind die Systeme. Wissen Sie, es ging ja bis dahin, dass die Wohnungen der DDR schlecht gemacht wurden. Jeder meckerte über die Plattenbauten. Ich habe über zehn Jahre in der Platte gewohnt, erst in Hohenschönhausen, danach in Mitte in einer ehemaligen Regierungsplatte. Das waren dumme Leute, die nicht verstanden haben, dass sie volkswirtschaftliches Vermögen der DDR, das die Menschen ja aufgebaut hatten, im Prinzip kleinreden, ja, dass wir es nur noch abreißen könnten. Anstatt sich einmal Gedanken zu machen, wie man aus diesen städtebaulichen Gegebenheiten etwas kreiert, das noch 15 oder 20 Jahre hält. Es hat mich in der Wendezeit sehr geärgert, wie die Dinge dann kleingeredet wurden von Leuten, die es eigentlich auch nicht verstehen konnten.

Dann die Treuhandanstalt. Wenn Sie damit zu tun hatten und sahen, in welchem Umfang krasser Egoismus und Dilettantismus nebeneinander standen. Das waren Jahre, wo man eben lernen konnte, dass die Wirtschaftssysteme überhaupt nicht kompatibel sind. Mich erinnerte dies alles an meine Studentenzeit. Da hatten wir einmal Kommilitonen aus Brasilien eingeladen und die haben uns dann abends erzählt: „Also eure Sicht auf die deutsche Wirtschaft, die könnt ihr aber vergessen. Wenn eine große deutsche Firma bei uns in den Krankenhäusern zum Beispiel Geräte verkauft, sind die erstens veraltet und zweitens überteuert. Denn die zahlen immer hohe Schmiergelder.“

Als ich dann 1990 in unseren Verband kam, war es fast genauso. Die ersten Schränke wurden beispielsweise überteuert eingekauft. Den Vertreter habe ich dann zu mir gebeten und verdeutlicht: „In Hannover habe ich dieselben Schränke mit 40 Prozent Rabatt bekommen. Ich gehe damit an die Öffentlichkeit, dann verkaufen Sie hier nicht einen einzigen Schrank mehr. Wenn Sie nicht Ihre Angebote in ordentliche Verhältnisse setzen.“ Das bekommen Sie natürlich nur hin, wenn die Erfahrungen vorhanden sind. Rainer Voigt war natürlich sehr erstaunt, als er dann fast den halben Kaufpreis wieder erstattet bekam. Das heißt also: Da wird von Hilfe gesprochen, aber eigentlich geht’s ums Verdienen.

Das waren alles Erlebnisse, die sich dann gegeben haben. Wir veranstalteten Vorstandslehrgänge und andere Dinge, um die Zeit des Umbruchs und der Veränderung zu meistern. Alle Seiten waren dabei betroffen. Wenn Sie als Westdeutscher im Osten bleiben wollten, mussten Sie ganz deutlich wissen und verstehen, wie die Menschen hier ticken. Sie dürfen nicht vergessen, die Menschen hatten ja alle ihre eigene Jugend, ihre eigene Erinnerung. Es wird ja keiner seine eigene Erinnerung einfach so in den Dreck werfen, nicht wahr. Die haben hier studiert, sind zur Schule gegangen, haben ihr Leben gelebt, Kinder gekriegt und so weiter. So musste man im Blick behalten: Man kommt dazu und kann jetzt seinen Beitrag leisten. Eigentlich war es genauso, als wenn Sie als Rheinländer nach Bayern ziehen. Da müssen Sie auch erst einmal gucken und sich Grundelemente des bayerischen Denkens aneignen.

Rainer Voigt bezeichnete Sie als „Mann der ersten Stunde“, der den fachlichen Teil aufbauen half. Sie kamen aus Niedersachsen. Haben Sie die Prüfungsstelle nach diesem Vorbild aufgebaut? Was war das Wichtigste für Sie?

Also das Wichtigste war aus meiner Sicht, dass wir immer wieder Schwerpunkte gesucht haben, in denen die Kollegen sich behaupten konnten. Der Abteilungsleiter Markt ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Er hat angefangen als „Zahlungsverkehrsmensch“. Das war unser größtes Problem, den Zahlungsverkehr hier vernünftig zu organisieren. In den ersten Jahren hatte er wirklich ganz erheblichen Anteil daran, dass das funktionierte. Danach kamen weitere Projekte, die Zukunft hatten. Zu meiner Zeit als Verbandsgeschäftsführer bauten wir zum Beispiel gemeinsam die Internetfiliale auf. Er natürlich immer vorne weg. Das deutschlandweit eingesetzte System des Finanzkonzeptes stammte auch aus unserem Verband, aus demselben Bereich.

Das bedeutet, für mich war es eigentlich immer wichtig, egal ob ich als Prüfungsstellenleiter oder als Verbandsgeschäftsführer hier gearbeitet habe, sicherzustellen, dass die Beschäftigten des Verbandes sich identifizieren können mit ihren Aufgaben. Wo sie auch sagen konnten: „Da habe ich meinen Anteil dran.“

Ich bin zum Beispiel kein guter Teamplayer. Das sage ich ganz deutlich. Aber ich weiß, dass ich Mitarbeiter brauche, die so gut sein müssen, wie’s gerade eben geht. Ich bin der Meinung, dass Sie nicht dauernd Menschen einstellen können, die dümmer sind als Sie selbst. Denn dann werden Sie eines Tages ein richtig dummes Haus haben. Die Führungskräfte sollten im Idealfall über eine Qualifikation verfügen, die sie befähigt, auch als Geschäftsführer arbeiten zu können. Toppositionen sind in einem Verband begrenzt. Aber man muss zusehen, dass in allen Positionen Leute sind, die gut und eigenständig arbeiten. Das hat sich hier im Verband auch bewährt. Denn in Zeiten der Abwesenheit, konnten die Aufgaben auf diese Weise verteilt und gut erledigt werden. Die Stärke unseres Verbandes ist, dass wir unsere Position haben und uns auch nicht zu häufig umorganisierten.

Trotzdem gibt es Veränderungen. Das ist ein natürlicher Vorgang. Da kann man sich jetzt nicht hinstellen und sagen: „Alles wird zementiert.“ Man muss eben verstehen: Sie können nie kopieren. Wenn Sie das tun, werden Sie maximal so gut sein, wie das, was Sie kopieren. Es muss in der Führung auch eine eigenständige Ausrichtung geben. Das Ergebnis mag dann besser oder schlechter sein. Das spielt aber keine Rolle. Das ist dann die Handschrift desjenigen, der vorne steht.

———————————-

*Claus Friedrich Holtmann (1949-2013), Lebenslauf, siehe Teil 1 vom 01.11.2020, FN 1

**Quelle: Bestand: Historisches Archiv des OSV, Zeitzeugeninterview mit Claus Friedrich Holtmann am 10. Januar 2013.

  • Claus Friedrich Holtmann auf dem 7. Ostdeutschen Sparkassentag, Potsdam 2011 : © photothek.net/Ostdeutscher Sparkassenverband

  • Feierliche Preisverleihung zur Aktion "Ältestes Sparkassenbuch gesucht", im April 2013; mit einem Präsidenten, der es verstand, "mit besonders liebenswürdigen und mit viel Humor gewürzten Geschichtskenntnissen" aufzuwarten und zu begeistern. : © photothek.net/Ostdeutscher Sparkassenverband

„mit Leib und Seele Sparkassenmann“ – Erinnerungen an Claus Friedrich Holtmann

Teil 1

Heute vor 30 Jahren kam ein Mann zum Sparkassenverband im Osten Deutschlands, der für den Präsidenten Rainer Voigt zu den „Männern und Frauen der ersten Stunde gehörte, die den fachlichen Teil vorangebracht haben.“ Als examinierter Wirtschaftsprüfer sollte er die Prüfungsstelle nach westdeutschem Vorbild aufbauen. Eine herausfordernde Aufgabe. Im Rückblick bezeichnete Voigt es als „Riesenglück“, dass „bei einer absolut unklaren Rechtslage“ im Jahr 1990 eine gestandene Persönlichkeit wie diese dafür gewonnen werden konnte: Claus Friedrich Holtmann.*

Befragt man Kolleginnen und Kollegen, so ist ihnen Holtmann als brillanter Redner und Rhetoriker, ja, als Vordenker und Macher in guter Erinnerung. Erlebnisse mit Holtmann blieben im Gedächtnis. Geschichten gibt es reichlich. Langjährige Prüferinnen und Prüfer erinnern sich sogar noch an ihr „etwas anderes“ Einstellungsgespräch mit dem Leiter der Prüfungsstelle. Er sprach viel, man hörte gern zu. Am Ende setzte er großes Vertrauen in seine Mitarbeiter, auch in die neuen. Fachkompetenz wusste er zu schätzen. Gleichzeitig war er am Menschen interessiert, fragte nach dem Befinden. „Das muss ich noch sagen“, unterstrich ein Weggefährte aus der Anfangszeit, „Holtmann war mit Leib und Seele Sparkassenmann […] und als Prüfungsstellenleiter war er ein großer Verfechter der Hilfe zur Selbsthilfe“ – insbesondere in Bezug auf die ostdeutschen Sparkassen.

Dazu passt ein Erlebnis eines 1993 frisch gebackenen Sparkassenvorstands. Im Mittelpunkt standen Nacharbeiten zur Währungsunion. Aufgrund von Fehlern in der Programmierung gab es noch zu dieser Zeit sogenannte „Aufräumarbeiten“. Holtmann rief gleich am ersten Tag der Amtszeit an und wies darauf hin, dass noch Differenzen in zwei Jahresabschlüssen seien. Der neue Vorstand hätte nun die Verantwortung und für die Richtigstellung Sorge zu tragen. Er wisse auch nicht, wie das sonst bei der Bankenaufsicht begründet werden sollte. – Das war ‘ne Ansage, kaum, dass der alte Direktor nicht mehr zuständig war. – Für mehrere Sparkassenmitarbeiterinnen türmte sich nun ein Berg von Arbeit auf. Erneut durchforsteten sie alle Listen und prüften die bereits „halb verblassten Tippstreifen“, um anschließend Bereinigungen vornehmen zu können. Alles manuell. – Erschwerend kam hinzu, dass die Aufgabe in einem Monat erledigt sein sollte. „Das war Wahnsinn“, erinnerte sich der Sparkassenvorstand. Ständig stand die Frage im Raum: Schaffen wir das? – Doch tatsächlich bekam Holtmann pünktlich die Erfolgsmeldung geliefert: „Ich möchte Ihnen Bericht erstatten: Null Differenz, wir sind durch.“ Die Antwort darauf war typisch für Holtmann: „Etwas anderes habe ich von Ihnen auch nicht erwartet.“ – Lachender Kommentar des Vorstands zu dieser Episode: „So war er. Das war der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit.“

Ein anderer Weggefährte kommt im Rückblick auf die Aufbaujahre zu der Einschätzung: „Ohne den wären wir als Verband untergegangen. Holtmann hat den Sparkassen auch die Reserven angeraten. Er hat Dinge auf den Weg gebracht, die die Sparkassen heute gut dastehen lassen […] Holtmann hat im richtigen Augenblick das Richtige gemacht und war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Der Verband wäre ohne ihn nicht der Verband geblieben.“**

Wenn ich an Claus Friedrich Holtmann zurückdenke, dann fällt mir zuerst die Preisverleihung zur Aktion „Ältestes Sparkassenbuch gesucht“ ein. Sie fand im April 2013 in der 19. Etage unseres Verbandsgebäudes in Berlin-Mitte statt. Wir hatten Sparer zu Gast, die seit Jahrzehnten aktiv waren. Das kam nicht alle Tage vor. Holtmann war begeistert und widmete sich jedem einzelnen Preisträger und seiner Geschichte. Selten zuvor hatte ich ihn so gelöst und zugewandt erlebt. Im Nachgang der Feierlichkeiten erreichten uns folgende Zeilen:

Die von Ihrem Präsidenten, Herrn Claus Friedrich Holtmann, vorgenommene Preisverleihung, mit besonders liebenswürdigen und mit viel Humor gewürzten Geschichtskenntnissen (bezogen auf das deutsche Sparkassenwesen), haben meine eigene Einstellung zum Notwendigen der DEUTSCHEN SPARKASSEN erweitert und bestärkt.***

Und Holtmann selbst? Wie hat er seinen Wechsel von West nach Ost 1990 wahrgenommen? Darüber lesen Sie morgen mehr. In unserem 2. Teil lassen wir ihn persönlich zu Wort kommen.

—————————-

*Claus Friedrich Holtmann (1949-2013) hinterließ große Spuren im Ostdeutschen Sparkassenverband. Nach dem Abitur 1969 erlernte er in seiner Heimatsparkasse in Krefeld den Beruf des Sparkassenkaufmanns. Anschließend studierte er Betriebswirtschaft an der Universität Münster und wurde nach dem Abschluss Prüfungsassistent beim Sparkassenverband Niedersachsen in Hannover. 1978 legte Holtmann sein Verbandsprüferexamen an der Deutschen Sparkassenakademie in Bonn ab. Drei Jahre später machte er sein Steuerberater-, im Jahr darauf das Wirtschaftsprüferexamen. Seit 1984 arbeitete Holtmann als Stellvertretender Prüfungsstellenleiter beim Sparkassenverband Niedersachsen in Hannover. Am 1. November 1990 übernahm er die Leitung der Prüfungsstelle des Ostdeutschen Sparkassenverbandes in Berlin. Von 1999 bis 2006 wirkte Holtmann als Verbandsgeschäftsführer des Ostdeutschen Sparkassenverbandes. 2007 trat er die Nachfolge des ersten Geschäftsführenden Präsidenten, Rainer Voigt, im einzigen Vier-Länder-Sparkassenverband Deutschlands an.

**Quelle zu den Erinnerungen: Bestand: Historisches Archiv des OSV, div. Zeitzeugengespräche mit Verbands- und Sparkassenmitarbeitern.

***Bestand: Historisches Archiv des OSV, Wanderausstellung und Preisverleihung zur Aktion: „Ältestes Sparkassenbuch gesucht!“, Schreiben eines Preisträgers.

  • © Historisches Archiv des OSV

  • © Historisches Archiv des OSV

Bilanzen 1990 – erstmalig auch nach westdeutschen Vorschriften

Blogserie, Teil 51

Jedes Unternehmen mit Sitz in der DDR musste 1990 mehrere Bilanzen aufstellen. Die Sparkassen waren davon nicht ausgenommen. Gesetzliche Grundlage bildeten in Verbindung mit der Währungsunion  und dem Einigungsvertrag das D-Markbilanzgesetz (DMBilG) vom 23. September 1990 einerseits und andererseits die Anordnung des Ministeriums der Finanzen vom 27. Juni 1990 über den Abschluss der Buchführung in Mark der DDR zum 30. Juni 1990.

Für die Sparkassen bedeutete das nun konkret, dass sie eine Mark-Abschlussbilanz zum 30. Juni, eine DM-Eröffnungsbilanz zum 1. Juli sowie erstmals einen Jahresabschluss für das Jahr 1990 nach bundesdeutschen Vorschriften zu erstellen hatten und entsprechend geprüft wurden.

Um das alles bewältigen zu können, wurden verbandsseitig umfangreiche Maßnahmen eingeleitet. Neben regelmäßigen Fachrundschreiben mit aktuellen Informationen entwickelten Experten aus Ost und West einen „Leitfaden zur Umstellung des Rechnungswesens der Sparkassen“, der u. a. auch eine Stellungnahme zu Details der Umstellung in Folge des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen beiden deutschen Staaten enthielt.* Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) appellierte als Dachverband darüber hinaus an die westdeutschen Regionalverbände, über die Partnersparkassen den Sparkassen der DDR bei der „Bewältigung dieser Aufgaben durch Fachleute aus dem Rechnungswesen und der Innenrevision Unterstützung angedeien zu lassen.“**

Was war zu tun? In einem ersten Schritt mussten die Sparkassen eine Inventur durchführen. Denn in die Mark-Abschlussbilanz gehörten, entsprechend der bisher in der DDR geltenden Rechtsvorschriften und unter Verwendung des bekannten Schemas für den Jahresabschluss, eine Aufstellung über sämtliche Vermögensgegenstände und Schulden sowie eine Gewinn- und Verlustrechnung. So waren zum Beispiel auch Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber den Haushalten der Räte der Kreise in die Mark-Schlußbilanz aufzunehmen. Denn die Sparkassen waren in der DDR verpflichtet, monatlich planmäßige Gewinnabführungen vorzunehmen. Da dies unterschiedlich gehandhabt wurde in der Vergangenheit – manche Sparkassen hatten mehr abgeführt, als tatsächlich erwirtschaftet worden war, andere hatten noch nichts abgeführt –, sahen die Aufstellungen dementsprechend unterschiedlich aus. Auch die angefallenen Kosten im Zusammenhang mit der Währungsunion waren aufzunehmen.

Anschließend war ein neues Inventar in D-Mark aufzustellen sowie eine DM-Eröffnungsbilanz nach einem für den Jahresabschluss der westdeutschen Sparkassen vorgeschriebenen Schema. Ein Anhang zur Erläuterung der Bilanz mit einer vergleichenden Darstellung, aus der die Veränderungen der Posten aus beiden Bilanzen hervorgehen sollten, war den Unterlagen beizufügen. Gemäß Handelsgesetzbuch waren dabei die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zu beachten. Ziel war ein nach den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögenslage zu erhalten. Bei der Bewertung der in der Eröffnungsbilanz ausgewiesenen Vermögensgegenstände und Schulden galt nach § 6 DMBilG u. a., dass vorsichtig zu bewerten sei, und nach § 7 DMBilG, dass eine Neubewertung aller Vermögensgegenstände und Schulden vorzunehmen ist. Für die Überleitung von der Mark-Schlussbilanz in die DM-Eröffnungsbilanz wurden Buchungen aus der Umstellungsrechnung des DMBilG in ein „Mark-Differenzkonto“ vorgenommen. Sie ergaben im Saldo die gegen den Ausgleichsfonds Währungsumstellung eingestellte Forderung. Die Anwendung des DMBilG bedeutete in seiner letzten Konsequenz den vollständigen Bruch mit den bisherigen Gewohnheiten der Rechnungslegung in den Sparkassen der DDR.

Bis zum 31. Oktober 1990 sollten die Bilanzen in den Sparkassen aufgestellt sein, damit die Prüfungen rechtzeitig beginnen und termingerecht abgeschlossen werden konnten. Auch dafür waren im Vorfeld umfangreiche Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen. Denn die Prüfungsstelle des Sparkassenverbandes der DDR hatte für die anstehenden Arbeiten nicht genug Kapazitäten. Zwar konnte die Prüfung der Mark-Schlussbilanz zum 30. Juni 1990 von Mitarbeitern der früheren Staatlichen Finanzrevision, die jetzt in der Prüfungsstelle tätig waren, übernommen werden, doch mit der Prüfung der DM-Eröffnungsbilanz und des darauf aufbauenden Jahresabschlusses 1990 betraten sie Neuland.***

Und so war die Prüfungstätigkeit auf den Besprechungen der Verbände ein wichtiges Thema. Auf der 3. am 7. August 1990 konnte der Sparkassenverband der DDR bereits darüber informieren, dass die überarbeitete Prüfungsordnung im Umlaufverfahren durch den Vorläufigen Verbandsrat gebilligt worden war. Ein bedeutender Schritt. Denn sie schrieb die Unabhängigkeit sowie Eigenständigkeit der Prüfungsstelle fest und verdeutlichte gegenüber Dritten, wie zum Beispiel gegenüber dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAK) oder den Sparkassenaufsichten, dass berufsübliche Pflichten eingehalten werden.****

Des Weiteren wurde festgelegt, dass die Prüfung der Umstellungsrechnung und der DM-Eröffnungsbilanz gemäß des gemeinsam erarbeiteten Konzeptes erfolgt. Gerechnet wurde mit ca. 2.000 Prüfertagen und 30 westdeutschen Prüfern, die für zwei Monate die Kollegen der ostdeutschen Prüfungsstelle unterstützen sollten. 18 Prüfer sowie weitere Helfer standen hier zur Verfügung, um in der Praxis den westdeutschen Prüfern zur Seite zu stehen, die aufgrund ihrer Expertise die Teams jeweils leiten sollten. Als Prüfungszeitraum war der 15. Oktober bis 15. Dezember 1990 vorgesehen. Darüber hinaus bemühte sich der Dachverband gemäß der Übertragung der Rechtsvorschriften des Kreditwesengesetzes auf die DDR im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion um zwei Wirtschaftsprüfer, welche die Leitung der ostdeutschen Prüfungsstelle übernehmen konnten.***** Aufgrund der großen Anzahl an ostdeutschen Sparkassen war außerdem vorgesehen, dass auch westdeutsche Prüfungsstellenleiter im Auftrag des DDR-Verbandes und in Verbindung mit den entsandten Prüfern die Bilanzen seiner 196 Sparkassen testierten.

Auf der 4. Sitzung am 21. August 1990 wurde vom DSGV das Einverständnis des Sparkassenverbandes der DDR zum geplanten Verfahren – Zeitplan, Besetzung, Kosten – eingeholt. Die Finanzierung der bundesdeutschen Prüfer garantierten die entsendenden westdeutschen Prüfungsstellen. Die Sparkassen der DDR sollten die Kosten für die Unterkunft und einen Tagessatz von 70 DM tragen.****** Darüber hinaus konnte der Dachverband berichten, dass im Gespräch mit dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die Testaterteilung für die Bilanzprüfungen nicht wie üblich bis zum 31. Mai 1991 erfolgen musste, sondern bis zum 31. Oktober Zeit blieb. Diese Termingestaltung sollte die Doppelbelastung für die westdeutschen Prüfer etwas abmildern und gleichzeitig sicherstellen, dass nach Abschluss der Prüfungen der westdeutschen Sparkassen ausreichend Zeit war, um die Sparkassen der DDR ordnungsgemäß zu prüfen.

Die Prüfungsstellenleiter verständigten sich am 13. und 14. September 1990 in ihrer Bonner Besprechung auf ein erstes grobes Konzept zur Verteilung der Prüfungsaufgaben. Allen Beteiligten war bewusst, dass die kommenden Monate mit außerordentlich hohen Belastungen für die Prüfungsstellen der westdeutschen Sparkassen- und Giroverbände verbunden sein werden. Denn die Prüfungen waren im Osten nicht nur erstmalig nach westdeutschen Bilanzierungsvorschriften vorzunehmen, sie waren auch wegen der neuen Bewertungsvorschriften, der Feststellung von Ausgleichsforderungen und anderem mehr umfangreicher als in der Bundesrepublik. Einigkeit bestand auch darin, dass das Verbandsprüferexamen auch für die Kollegen in der DDR unabdingbar war. Der DSGV schuf daher Kapazitäten, damit jährlich bis zu 20 Mitarbeiter zusätzlich in die Ausbildung gehen konnten. Rückblickend betont Hans-Georg Günther: „Diese solidarische Hilfe der westdeutschen Prüfungsstellen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.“

Die Prüfungen der Mark-Schlussbilanzen sowie der Überleitungsvorschriften für die Erstellung der DM-Eröffnungsbilanz wurden bis auf wenige Ausnahmen in durchschnittlich drei bis vier Tagen bewältigt. Sie erfolgten auf Basis der in der DDR geltenden Vorschriften, insbesondere auf Basis der Richtlinie der Abteilung Sparkassen der Staatsbank für den Jahresabschluss der Sparkassen, ausgewiesen im Handbuch Teil 23, Tz 3.3.0, der Anweisung Nr. 16/1986 des Ministers für Finanzen und der Richtlinie des Leiters der Staatlichen Finanzrevision vom 15.10.1986 zur Prüfung und Bestätigung der Ordnungsmäßigkeit der Jahresbilanz und der Ergebnisrechnung der Sparkassen.

Probleme vielfältigster Art stellten sich bei den Prüfungen der DM-Eröffnungsbilanz heraus. Trotz Kenntnissen der Buchführung und Rechnungslegung warf die Bewertung und Auslegung von Bewertungsvorschriften bei den Kollegen der DDR-Sparkassen viele Fragen auf und zog intensiven Beratungsbedarf nach sich. Zahlreiche Einzelfälle der Bewertung konnten nur mit Hilfe westdeutscher Partnersparkassen gelöst werden. Zusätzliche Probleme brachten die Verfahren buchhalterischer Erfassung des Währungsumtausches durch die Bundesbank bzw. die Staatsbank. Differenzen durch Unzulänglichkeiten in der örtlichen Organisation mussten außerdem geklärt werden. Langwierig gestaltete sich darüber hinaus das Prüfungs- und Zuteilungsverfahren der Ausgleichsforderungen durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen als zuständiger nachgeordneter Behörde des Bundesministeriums der Finanzen. Schließlich gab es auch Schwierigkeiten für die Prüfer selbst durch sehr weite Entfernungen oder auch durch fehlende Unterkünfte vor Ort. All das führte am Ende zu erheblich verlängerten Prüfungszeiten, teilweise um bis zu 100 Prozent, und zu einem verzögerten Beginn der nachfolgenden Jahresabschlussprüfungen 1990.

Mitte 1992 waren dann die Prüfungen der DM-Eröffnungsbilanzen nicht nur abgeschlossen, sondern sie verdeutlichten auch, dass die Sparkassen als Kreditinstitutsgruppe die Hauptlast der Währungsumstellung getragen hatten.******* Für alle Sparkassen zutreffend sind seinerzeit die in einem Prüfbericht aufgezeigten Anpassungsmaßnahmen:

Mit dem Ziel, sich dem Wettbewerb zu stellen und sich zu einem leistungsfähigen, den geld- und kreditwirtschaftlichen Bedürfnissen der Bürger, der mittelständischen Wirtschaft sowie den kommunalen Institutionen verpflichteten Kreditinstitut zu entwickeln, hat die Sparkasse eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen. So sind für alle Geschäftsstellen Baumaßnahmen des Sparkassenbetriebes und Installationen vorgesehen, die bereits innerhalb eines Jahres die Sicherheit erhöhen und die Kundenbedienung erleichtern werden. Zusätzliche Beratungsplätze und -räume wurden für die Geschäftsstellen und die zentralen Kreditabteilungen geschaffen. Der Personalbestand muß entsprechend den neuen Anforderungen erhöht werden. Die Sparkasse wird […] an die zentrale Datenverarbeitung des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes angeschlossen.********

Fortsetzung am 20.09.2020

———————–

*Der Leitfaden erschien auch als Beilage der Fachmitteilungen des DSGV und wurde vom Deutschen Sparkassenverlag in vierfacher Ausfertigung an alle DDR-Sparkassen versendet. Bestand: Historisches Archiv des OSV, Rundschreiben 20/1990 v. 28.9.1990.

**ebd.

***Bestand: Historisches Archiv des OSV, HAE-Pötzl-3/2004, Prüferinformation Nr. 3/1990; Rundschreiben Nr. 39 vom 17.10.1990.

****Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Pötzl 5/2004.

*****Am 1.11.1990 übernahmen die Wirtschaftsprüfer Claus Friedrich Holtmann und Ägidius Hutter die Leitung der Prüfungsstelle des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes (ehem. Sparkassenverband der DDR). Sie erteilten die gesetzlich vorgeschriebenen Bestätigungsvermerke auf der Basis der vorgenommenen Prüfungen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Prüfungsstelle bereits 20 Mitarbeiter, die in intensiven Vorbereitungen für die Prüfung der Mark-Schlussbilanz steckten, sowie eine eigenständige Organisation.

******Prüfungsgebühren wurden bereits 1990 mit Beschluss Nr. 37 vom 27.9.1990 des Vorläufigen Verbandsrates erhoben. Pro Sparkasse wurden ca. zehn Prüfungstage eingeplant, die mit Gebühren für Aufwendungen, wie etwa Reisen, Unterbringung, Spesen etc., verbunden waren. Vgl. Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-Pötzl 6/2004.

*******Zitat Günter: Günther, Hans-Georg: Neugestaltung des ostdeutschen Sparkassenwesens 1990 bis 1995, Stuttgart, 1998, S. 95; Holtmann, Claus Friedrich ; Breckle, Helmut: Erfolgreicher Aufbau der Prüfungsstelle, in: Betriebswirtschaftliche Blätter, 42. Jg., Nr. 10, 1993, S. 479-484; Jahresberichte des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes 1990-1993.

********Auszug aus dem Prüfbericht zur DM-Eröffnungsbilanz der Kreissparkasse Bad Doberan, Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA-E 962. | Zusammenfassend, so Riebell, handelt es sich bei der DM-Eröffnungsbilanz um eine „Art vorläufiger Vermögensstatus“. Das heißt, aus ihr ging nicht die Ertragskraft hervor, was wiederum für die Kreditbeurteilung von DDR-Unternehmen ein großer Nachteil war. Sparkassen hatten also nicht nur intern, sondern eben auch extern mit der  DM-Eröffnungsbilanz zu tun. Doch das wäre wieder eine neue Geschichte. Vgl. dazu: Riebell, Claus: Die DM-Eröffnungsbilanz aus der Sicht der Bilanzanalyse, Hinweise für die Kreditbeurteilung ostdeutscher Unternehmen, in: Sparkasse, 108. Jg., Nr. 8, 1991, S. 379-382.

Zwei Bilanzen – eine Ergänzung: Rainer Voigt bezeichnet in seiner Rede am 3.10.1990 beide Bilanzen als „wichtige Dokumente der deutschen Sparkassengeschichte“. Die Schlussbilanz in Mark der DDR sage aus, dass die Sparkassen „unter der Vorherrschaft der Staatsbank […] lediglich zu Sammelstellen für die Ersparnisse der Bevölkerung und zu Einrichtungen für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs“ geworden waren, dass die örtliche Kreditversorgung der Selbständigen nur in einem „sehr engen, unbedeutenden Rahmen“ wahrgenommen werden konnte und dass die Entscheidungsspielräume der Sparkassen über ihre Geschäftstätigkeit durch die Planwirtschaft „auf ein Minimum beschränkt waren“. Die DM-Eröffnungsbilanz ließe jedoch erkennen, dass die Sparkassen zu den „Hoffnungsträgern“ in diesen Zeiten des Umbruchs und der vielen Ungewissheiten gehören. Sie ist „die Eintrittskarte für den Einstieg der ostdeutschen Sparkassen in die soziale Marktwirtschaft und damit in die Entwicklung zu universellen kommunalen Banken eines einheitlichen Deutschlands.“

  • Berufs- und Leistungsbild des Verbandsprüfers des Sparkassenverbandes der DDR vom 26. Juli 1990 : © Historisches Archiv des OSV

  • Berufs- und Leistungsbild des Verbandsprüfers des Sparkassenverbandes der DDR vom 26. Juli 1990 : © Historisches Archiv des OSV

Die Einrichtung der Prüfungsstelle

Blogserie, Teil 32

Die Prüfung der Sparkassen gehört traditionell zu den Aufgaben der regionalen Sparkassenverbände. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts waren Verbandsprüfer im Gebiet des Ostdeutschen Sparkassenverbandes unterwegs. 1952 schaffte das SED-Regime die Verbände ab. Erst mit der Gründung des Sparkassenverbandes der DDR in der Wendezeit bekamen die Sparkassen wieder eine Prüfungsstelle ihres Verbandes. Gemäß § 11 der Verbandssatzung vom 20. März 1990 war festgelegt:

„(1) Der Verband übt die Prüfung der Mitgliedssparkassen auf der Grundlage einer Prüfungsordnung über eine Prüfungsstelle aus. Die Prüfungsstelle ist bei der Durchführung von Prüfungen unabhängig und nicht an Weisungen der Verbandsorgane gebunden, die den Umfang, die Art und die Weise oder das Ergebnis der Prüfung betreffen.

(2) Der Prüfungsstelle obliegt die Jahresabschlußprüfung und die Durchführung der thematischen Prüfungen der Mitgliedssparkassen. Auf Antrag der Mitgliedssparkassen sowie der zuständigen örtlichen Räte können weitere Prüfungen vorgenommen werden.

(3) Die Revisionsergebnisse sind vor Vertretern des zuständigen örtlichen Rates sowie der Leitung der geprüften Sparkasse auszuwerten.

(4) Für die Jahresabschlußprüfungen und die Prüfungen auf Antrag werden Gebühren erhoben. Der Verbandsrat regelt die Gebühren.“*

Bei seiner ersten Sitzung am 17. April 1990 berief der Verbandsrat unter dem Vorsitz von Rainer Voigt den Leiter der Prüfungsstelle. Erhard Pötzl war vorher bei der staatlichen Finanzrevision für Sparkassenrevisionen verantwortlich gewesen. Er erhielt den Auftrag, die Prüfung der Sparkassen durch den Sparkassenverband der DDR auf Grundlage einer Prüfungsordnung zu organisieren. Das Ziel war, die Arbeitsfähigkeit der Prüfungsstelle bis zum 30. Juni 1990 herzustellen.** Bereits bei der folgenden Sitzung am 23. Mai 1990 konnte der Verbandsrat eine vorläufige Prüfungsordnung verabschieden.*** Sie wurde aufgrund der geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ersetzt. Die neue Version vom 1. August entstand in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband. Die Unabhängigkeit und Eigenverantwortung der Prüfungsstelle war nun klar festgeschrieben und gewährleistet, dass etwa das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die Prüfungsordnung akzeptierte.**** Weil die Ordnung den Standards der Bundesrepublik Deutschland entsprechen musste, hatte der Leiter der Prüfungsstelle öffentlich bestellter Wirtschaftsprüfer zu sein. Auch die Anforderungen an die Prüfer hatten sich geändert.

„Die Prüfer müssen persönlich und fachlich geeignet sein. Mit der selbständigen Durchführung von Prüfungen dürfen grundsätzlich nur solche Prüfer betraut werden, die das Wirtschaftsprüferexamen oder vor dem beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband eingerichteten Prüfungsausschuß das Verbandsprüferexamen abgelegt haben und als Verbandsprüfer angestellt sind. Der Leiter der Prüfungsstelle kann im Ausnahmefall auch andere Prüfer beauftragen.“*****

Was das Personal betraf, so sah der Stellenplan vor 30 Jahren 68 Stellen vor. Für die damals 196 Mitgliedssparkassen waren 52 Prüfer in der Außenorganisation vorgesehen. Der personelle Aufbau der Prüfungsstelle erforderte verschiedene Maßnahmen. So sollten sich zum Beispiel die ehemaligen Sparkassenrevisoren der staatlichen Finanzrevision qualifizieren und die DDR-Sparkassen zusammen mit Kollegen aus westdeutschen Prüfungsstellen, die zur Unterstützung abgeordnet wurden, prüfen. Bereits Ende Mai hatten sich die Prüfungsstellenleiter dafür ausgesprochen, den Ostverband mit seinen damals nur 15 Prüfern personell zu unterstützen.****** So sollten der Einsatz fremder Wirtschaftsprüfer und Auswirkungen auf die Prüfungshoheit verhindert werden. Was den Aufbau eines eigenen Personalbestands betraf, so dachte der Sparkassenverband der DDR unter anderem daran, geeignete Akademiker ohne sparkassenspezifische Kenntnisse an Universitäten und Hochschulen zu werben und mit Unterstützung der westdeutschen Sparkassenorganisation auszubilden. An der Deutschen Sparkassenakademie in Bonn hatten sie das Verbandsprüferexamen abzulegen.******* Zur langfristigen Gewinnung von Nachwuchs galt es 1990, die Prüfertätigkeit populärer zu machen, durch die Verbreitung eines entsprechende Berufs- und Leistungsbildes. Dieses ging sogar auf die Persönlichkeit der ostdeutschen Verbandsprüfer ein.

Fortsetzung am 28.05.2020

—————————–

* Satzung des Sparkassenverbandes der DDR vom 20. März 1990, § 11, in: Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 24, 25.04.1990, S. 235; Bestand: Historisches Archiv des OSV

** Vgl. Sparkassenverband der DDR/ Vorläufiger Verbandsrat, Beschluß Nr. 3/90 – Berufung des Leiters der Prüfungsstelle des Sparkassenverbandes der DDR; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HA 2/2017 Bd. 1

*** Vgl. Sparkassenverband der DDR/ Vorläufiger Verbandsrat: Beschluß Nr. 20/1990 – Prüfungsordnung für die Prüfungsstelle des Sparkassenverbandes der DDR, in: Historisches Archiv des OSV, HA 2/2017 Bd. 1

**** Sparkassenverband der DDR – Leiter Prüfungsstelle an die Direktoren der Bezirksgeschäftsstellen betr. Prüfungsordnung für die Prüfungsstelle des Sparkassenverbandes, 14.08.1990; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HAE – Pötzl 5/2004

***** Prüfungsordnung für die Prüfungsstelle des Sparkassenverbandes der DDR, 01.08.1990, § 2, 5; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HAE – Pötzl 5/2004

****** Vgl. Niederschrift über die Verbandsvorsteherkonferenz des DSGV am 28./29.05.1990 in Berlin, S. 8; Bestand: Sparkassenhistorisches Dokumentationszentrum des DSGV, Bonn

******* Vgl. Sparkassenverband der DDR: Konzept zur Schaffung der personellen Voraussetzungen für die Prüfungsstelle des Sparkassenverbandes, 26.07.1990, S. 2; Bestand: Historisches Archiv des OSV, HAE – Pötzl 3/2004