• 300 Reichsmark gab es für einen Chemnitzer Sparkassenkunden vor 75 Jahren. : © Historisches Archiv des OSV

Der Befehl 74 der Sowjetischen Militäradministration

Stempel finden sich viele in alten Sparkassenbüchern. Es sind Zeugnisse von Währungsumstellungen, der Aufwertung der Spargelder nach der Inflation 1923 und der Anmeldung von Altguthaben in der DDR, von Spartagen und Sparwochen im Dritten Reich, von verschiedensten Zinsen, Sperrvermerken, Fusionen und manchem mehr. Oft ist auch eine Stempelung zu entdecken, die auf den Befehl 74 der Sowjetischen Militäradministration (SMA/SMAD) hinweist. Aufgrund dieses Befehls wurde Geld ausgezahlt. Man konnte sich einen freigegebenen Betrag aber auch auf ein verfügbares Konto übertragen lassen. So tat es zum Beispiel ein Kunde der Stadtsparkasse Chemnitz vor genau 75 Jahren.

Was hat es mit dem Befehl auf sich? Die sowjetischen Besatzer hatten sämtliche Guthaben zum Stand 8. Mai 1945 eingefroren. Begründet wurde das mit einem Bankrott der Sparkassen, der durch das NS-Regime verursacht worden sei. Zum 15. August 1945 wurden die Sparkassen in Sachsen geschlossen und dann ohne Rechtsnachfolge neu gegründet. Am 9. März 1946 befahlen die Sowjets schließlich, dass die Kleinsparer der geschlossenen Institute eine Unterstützung erhalten sollten. Für die neuen Sparkassen ergab sich durch die Aktion die Möglichkeit, wieder mit ihren alten Kunden in direkten Kontakt zu treten und sie womöglich zu einem Neuanfang beim Sparen zu bewegen.

Wer nicht mehr als 3.000 Reichsmark (RM) Altguthaben hatte, bekam davon 300 ausgezahlt. Arbeitsunfähige erhielten beim Fehlen anderer Existenzmittel 400 RM, auch wenn sie mehr als 3.000 RM Guthaben hatten. Die Auszahlung der genehmigten Beträge sollte zu je 100 RM monatlich erfolgen. Besonders notleidenden Sparern konnte bei Vorliegen einer Bescheinigung der Abteilung für Sozialfürsorge die gesamte Summe auf einmal gegeben werden. Wenn man die 400 RM wollte, musste das Wohlfahrtsamt die Arbeitsunfähigkeit, die Mittellosigkeit und das Fehlen arbeitsfähiger Personen in der Familie nachweisen. Prinzipiell durften 400 RM gewährt werden: Männern über 65 und Frauen über 60 Jahre, Menschen mit mehr als 20 % Erwerbsbeschränkung sowie Frauen mit Kindern unter 7 Jahre, wenn sich in der Familie keine arbeitsfähige Person befand. Kriegsverbrecher und aktive Mitglieder der NSDAP bekamen nichts.

Ebenfalls keine Unterstützung erhielt ein aus der Gefangenschaft in Sibirien heimgekehrter Soldat, der sich in schlechter gesundheitlicher Verfassung befand. Ausgebombt war er, mittellos. Seine Frau war nicht in der Lage, beide über Wasser zu halten. Nur 5 RM in der Woche verdiente sie in einem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb. Leider betrug das Guthaben des Chemnitzers bei der Sparkasse 42,52 RM zu viel. Es bestand gemäß der Richtlinien keine Möglichkeit, ihn aus sozialen Gründen zu unterstützen. Es gebe keine Ausnahmen von den Vorschriften, so bitter das im Einzelfall auch sei, ließ der Sächsische Sparkassenverband verlauten. Und dies ist nicht das einzige Schicksal, das sich im Schriftverkehr zwischen Sparkassen und Verband zur Durchführung des Befehls 74 in unserem Archiv findet …

  • Einführungstext zur Verordnung über die Gründung der Sächsischen Landesbank und die Abwicklung der bisher bestehenden Banken und sonstigen Geldinstitute vom 14. August 1945, in: Amtliche Nachrichten der Landesverwaltung Sachsen, 1. Jg, Nr. 3, 15.081945; Bestand: Historisches Archiv des OSV

Ende und Anfang

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg für das Deutsche Reich mit der bedingungslosen Kapitulation. Zur Finanzierung der Kriegsführung hatte sich der NS-Staat enorm verschuldet, indem er etwa Anleihen bei den Sammelstellen des Kapitals der Bevölkerung unterbrachte. Das Sparen wurde in den Kriegsjahren forciert, ja sogar steuerlich begünstigt. Das viele Geld, das die gleichgeschaltete Reichsbank herausgab, wurde abgeschöpft. Wegen der verringerten Möglichkeiten, es auszugeben, wuchsen die Ersparnisse der Bevölkerung. In Sachsen vermehrten sich die Sparguthaben bei den Sparkassen zum Beispiel von 1,6 auf 7,2 Milliarden Reichsmark. Die Einlagen wurden, auch weil das traditionelle Kreditgeschäft darbte, in Reichsanleihen und Schatzwechsel investiert. Der gesamte Wertpapierbestand betrug bei Kriegsende drei Milliarden RM, derweil Hypothekendarlehen nur noch mit 762 Millionen RM bestanden.

Die Landesverwaltung Sachsens behauptete drei Monate nach Kriegsende jedoch, sämtliche Sparguthaben seien im Krieg verpulvert worden. Mit einem lesenswerten Propagandatext wurde eine Verordnung zur Neuordnung des Finanzwesens eingeleitet und ein Schlussstrich auch mit der Staatsverschuldung begründet. Tatsächlich überstiegen die Schulden sämtliche Bar- und Buchgeldbestände sogar um rund 100 Milliarden RM. Und das Geldvolumen wiederum war ein Vielfaches des Sozialprodukts. Auf die ruinierte Währung geht der Text indes nicht ein. Dieser wurde übrigens unter der Federführung des Präsidenten Rudolf Friedrichs erarbeitet und gezeichnet. Nicht nur die Mitglieder der Moskauer Exil-KPD, die in der Landesregierung die Schlüsselpositionen besetzten, sondern auch er als linker Sozialdemokrat zielte auf ein Ende des kapitalistischen Systems ab.

Dabei handelten sie im Auftrag der Sowjetische Militäradministration. Bereits am 23. Juli 1945 befahl deren Chef, die Finanz- und Kreditorgane im Sinne der Abschaffung des Kapitalismus neu zu ordnen. Damit begann die sozialistische Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse. Das große Ziel war ein deutscher Staat nach sowjetischem Vorbild. Dazu gab es einen mehrstufigen Plan, der taktisch flexibel umgesetzt wurde. Im sozialistischen Finanzsystem hatten Sparkassen neuen Typs einen Nutzen. Sie sollten den gesellschaftlichen Aufbau finanzieren und damit den sozialistischen Machtanspruch festigen. So erfolgte auch in Sachsen am 14. August die Anordnung ihrer Neugründung ohne Rechtsnachfolge, derweil private Kreditinstitute verstaatlicht wurden, in der Landesbank aufgingen. Was die 7,2 Milliarden betraf, so durften Auszahlungen auf vor dem 8. Mai 1945 entstandene Guthaben nicht stattfinden. Sie waren zunächst „eingefroren“.

  • Museum Karlshorst

    Das Offizierskasino einer ehemaligen Wehrmachtsschule in Berlin-Karlshorst war der Ort der deutschen Kapitulation und dann Sitz der Sowjetischen Administration. Heute ist das Gebäude ein Museum. : © Thomas Einert, 2015

  • Arbeitszimmer des Chefs der SMAD im Deutsch-Russischen Museum, 2013 : © Foto: Thomas Bruns, Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst

  • Liste Sparkassen

    Aufgelistet sind die neuen Sparkassen in der Provinz Sachsen. "St. Sp." steht für Stadtsparkasse, "Gem. Sp." für Gemeindesparkasse und "K. Sp." für Kreissparkasse. : © Historisches Archiv des OSV

  • Sparbuch Eilenburg

    Auch Eilenburg gehörte damals zur Provinz Sachsen. Das Sparbuch zeigt Vermerke zur Auszahlung 1946 und zur Guthabenbescheinigung bei der neuen Stadtsparkasse. Am 1. September 1945 war das Institut eröffnet worden. : © Historisches Archiv des OSV

Die Neuordnung des Sparkassenwesens im Sommer 1945

Heute vor 70 Jahren war es soweit. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) unter Marschall Georgi Konstantinowitsch Schukow erließ einen Befehl zur Neuorganisation der Finanz- und Kreditorgane im sowjetischen Besatzungsgebiet. Dies war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum sozialistischen Wirtschaftssystem, das Moskau in seinem neuen Herrschaftsgebiet aufbauen wollte.

Am 23. Juli 1945 ordnete Schukow unter anderem die Schließung aller Sparkassen sowie ihre Neugründung an. Dabei sollte es zwar eine Funktions-, aber keine Rechtsnachfolge geben. Auszahlungen auf Guthaben, die vor der Kapitulation NS-Deutschlands entstanden waren, waren verboten, „falls die Mittel der Sparkassen durch den faschistischen Staat erschöpft sind“. Zum Stichtag 8. Mai 1945 wurden also die Konten eingefroren.

Auch im Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt sind die Sparkassen geschlossen und neue eröffnet worden. Dies geschah aber nicht auf einen Schlag. So erfolgte die erste Schließung am 3. August 1945 bei der Kreissparkasse Bitterfeld und die letzte am 12. September 1945 bei der Stadtsparkasse Jerichow. Insgesamt 84 Institute enstanden im Herbst dieses Jahres in der Provinz Sachsen. Die neuen Spareinlagen bei ihnen betrugen dann Ende 1945 bereits 227 Mio. Reichsmark (RM). Aber was geschah mit den alten Guthaben der Kundinnen und Kunden? Waren diese verloren?

Nein, nicht gänzlich. So befahl die SMAD 1946, Inhabern dieser Altsparguthaben (bis 3.000 RM) davon 300 RM und in besonderen Fällen 400 RM in Raten auszuzahlen. Besonders notleidende Menschen in der sowjetischen Besatzungszone erhielten das Geld auf einmal. Den Frauen von vermissten oder in Kriegsgefangenschaft geratenen Kleinsparern wurde erlaubt, sich als Unterstützung 300 beziehungsweise 400 RM vom Sparbuch des Mannes auszahlen zu lassen.

Im Zuge der Währungsreform 1948 im Osten sollten die bis Kriegsende entstandenen „Uraltguthaben“ dann im Verhältnis 10:1 umgerechnet werden. Inhaber von Altkonten konnten Anträge auf Ausstellung von Guthabenbescheinigungen stellen und erhielten Anteile einer Ablösungs-Anleihe, die in Raten getilgt wurde. Die Fristen zur Anmeldung der Guthaben für Bürgerinnen und Bürger erfuhren in der DDR mehrmals eine Verlängerung.